Gedenkworte
Hans-Christoph Ihrig*
Liebe Frau Nast-Kolb, liebe Familie Ulmer, meine Damen und Herren,
mein Versuch, Peter Ulmer als Doktorvater und Mentor in Erinnerung zu rufen und zu würdigen, ist gewiss subjektiv geprägt. Er beruht auf persönlichem Erleben, vornehmlich in der Zeit von 1984 bis 1990, als ich Doktorand von Peter Ulmer und einer seiner Assistenten am Heidelberger Institut für Gesellschaftsrecht war. Manches mag die Eine, manches der Andere – ich spreche im Folgenden nur noch von dem Schüler und meine damit natürlich zugleich auch die Schülerin – anders erlebt oder anders empfunden haben, heute anders erinnern.
Ich selbst blicke annährend vierzig Jahre zurück; eine lange Zeitspanne, in der sich Manches verklärt, Anderes überhöht, Etliches in Vergessenheit geraten mag. Als ich am Ende des Wintersemesters 1983/84 – es war in einem der Examensvorbereitung dienenden Kolloquium zum Gesellschaftsrecht, in dem Leitentscheidungen des II. Zivilsenats behandelt wurden – Peter Ulmer das erste Mal ernsthaft begegnet bin, war er 51 Jahre alt, ich selbst wurde 25. Nie zuvor und niemals mehr danach bin ich einem Menschen von so eindrücklicher Autorität kraft Persönlichkeit, von so überwältigender intellektueller Überlegenheit begegnet.
Es war diese außerordentliche Ausstrahlung, die am allermeisten auf den Schüler einwirkte, ihm Ansporn gab, alles daran zu setzen, den hohen Ansprüchen von Peter Ulmer zu genügen. Je nach Gemütslage und Naturell konnte damit bisweilen auch, dies sei nicht verschwiegen, ein Gefühl der Überforderung und schwer zu tragender Last einhergehen. Irgendwelche Anklänge von Altersmilde, von denen später gelegentlich zu hören war, gab es bei Peter Ulmer in diesen Jahren nicht.
Peter Ulmer hat in seiner Heidelberger Zeit 51 Dissertationen betreut. Das ist eine große, aber vermutlich keine rekordverdächtige Anzahl, aber wer sich erinnert, mit welcher Disziplin und Gewissenhaftigkeit sich Peter Ulmer jeder Aufgabe, war sie einmal übernommen, angenommen hat, wird dies richtig einordnen. Ob auf den Weg gebrachte Vorhaben auf der Strecke geblieben sind, ist nicht in Zahlen erfasst. Es wird ab und an so gewesen sein, denn Peter Ulmer hat stets höchste Ansprüche nicht nur an sich selbst, sondern genauso an die Welt um ihn herum gestellt, und es bedurfte keiner großen Worte, um zu wissen, dass ein Halbstück, ein schlampiges Werk, bei Peter Ulmer nicht ins Ziel kommen würde.
Unter den von Peter Ulmer betreuten Dissertationen finden sich nicht wenige, die über ihren unmittelbaren Zweck hinaus, die Doktorwürde des Verfassers zu belegen, von Nutzen waren, die von der akademischen Diskussion und von der Rechtsprechung wahrgenommen wurden, vereinzelt auf diese auch eingewirkt haben. Allen voran zu nennen ist die Dissertation des unvergessenen Martin Winter zu den “Mitgliedschaftlichen Treubindungen im GmbH-Recht” – eine Arbeit, von der nicht nur Peter Ulmer meinte, sie habe das Format einer Habilitationsschrift erreicht.
Wer eine Dissertation bei Peter Ulmer erfolgreich abgeschlossen hatte, hielt eine Fahrkarte erster Klasse in der Hand, die die Türen für den Berufseinstieg weit öffnete. Das lag zuvörderst an der außerordentlichen Reputation und breiten Anerkennung des Lehrmeisters, durch dessen Schule der Doktorand gegangen und dessen strengem Urteil er genügt hatte. Es lag aber auch daran, dass der ganz überwiegende Teil der Arbeiten aktuellen Themen von großer Praxisrelevanz gewidmet war. Es überrascht deshalb nicht, dass viele Doktoranden von Peter Ulmer zu Partnern führender Anwaltssozietäten wurden oder in Leitungsfunktionen von Rechts- und Stabsabteilungen großer Unternehmen aufstiegen.
Wie nun fand Peter Ulmer seine Doktoranden, wie fanden diese zu ihm? Großsprecher, Blender, Wichtigtuer oder Wichtige von Geburt und Herkunft sind im Kreis seiner Schüler nicht zu finden. Es gab für ihn nur die Maßstäbe der Qualität und der hundertprozentigen Hingabe für das Fachgebiet. Die schon erwähnte besondere Ausstrahlung seiner Person hatte eine hohe Anziehungskraft, aber Peter Ulmer selbst hatte auch ein sicheres Urteilsvermögen, die Spreu vom Weizen rasch zu trennen.
Häufig entwickelte sich der Kontakt im Hörsaal, in dem Peter Ulmer aufgrund eines gelungenen Wortbeitrags oder einer klugen Frage auf den Einzelnen aufmerksam wurde und diesen zum Gespräch einlud oder dazu anstiftete, sich bei Interesse einmal bei ihm zu melden. Immer führte der Weg zur Dissertation zunächst über ein Treffen im Arbeitszimmer von Peter Ulmer am Friedrich-Ebert-Platz. Dort saß der Aspirant dann auf dem in Institutskreisen gemeinhin “Büßerbänkchen” genannten Möbelstück, um im Gespräch vermessen und auf Tauglichkeit geprüft zu werden. Manch zartes Licht dürfte schon dort, im Angesicht der ungeheuren Präsenz von Peter Ulmer, verglüht sein.
Der wesentliche Weg- und Scheidepunkt war alsdann, nach erster Durchdringung der Aufgabenstellung durch den Bearbeiter, die Präsentation des beabsichtigen Arbeitsprogramms in Thesen im Rahmen des Privatseminars von Peter Ulmer. Diese Seminarabende im Haus von Peter Ulmer an der Albert-Überle-Straße am Neuenheimer Neckarhang waren legendär. Unter den Teilnehmern waren neben den Institutsmitarbeitern und den aktuellen Doktoranden regelmäßig auch gestandene Praktiker, angesehene Rechtsanwälte, hohe Richter oder leitende Unternehmensjuristen. Sie alle waren fleißig bemüht,
Regelmäßig glätteten sich die Wogen der Diskussion dann in einem entspannteren zweiten Abschnitt wieder, zu dem der Gastgeber einen Weißwein und Butterbrezeln auf den Tisch bringen ließ. Das Entkorken der Flaschen wurde übrigens üblicherweise dem Jüngsten der Institutsmitarbeiter übertragen.
War diese Hürde erfolgreich genommen, lag es ganz am Bearbeiter, sein Werkstück auszuarbeiten und zur Begutachtung vorzulegen. Auf dem Weg dorthin war Peter Ulmer zu einem Fachgespräch gerne bereit, und immer war der Austausch mit ihm äußerst fruchtbar, sein Rat hilfreich. Indessen musste eine solche Ansprache sorgfältig vorbereitet werden, ihr Zeitpunkt klug gewählt werden. Für ein beliebiges Gespräch aus dem Stand heraus war Peter Ulmer nicht zu haben. Dafür hatte er, so erschien es jedenfalls mir, schon keine Zeit. Überhaupt war sein striktes Zeitmanagement ein weiteres Charakteristikum von Peter Ulmer, das mir nachdrücklich in Erinnerung geblieben ist.
War Peter Ulmer ein Mentor, der sich gelegentlich dem an sich und der Welt verzweifelnden Doktoranden über die Schulter beugte und in väterlicher Anteilnahme nach dem Stand des Werkstücks erkundigte, ihm Mut zusprach? Nein, aus solchem Holz war Peter Ulmer nicht geschnitzt. Das Vorbild seiner Person setzte den Maßstab und war Orientierung genug.
Seine Schüler haben Peter Ulmer viel zu verdanken. Sie haben von ihm nicht nur ein unerhört wertvolles fachliches Rüstzeug erhalten, sondern auch und vor allem in punkto Arbeitseinstellung, Disziplin, Genauigkeit in der Problemdurchdringung und Klarheit in der Diktion fürs Leben gelernt. Wer das Privileg gehabt hat, durch die Schule von Peter Ulmer gehen zu dürfen, musste sich in seinem Berufsleben vor nichts und niemandem mehr fürchten. Ich darf deshalb gewiss stellvertretend für seine Doktoranden, für seine Schüler, das sagen, was ich Peter Ulmer gerne vor seinem Tod noch einmal persönlich gesagt hätte:
Danke für alles, lieber Herr Ulmer.
* | Dr., Rechtsanwalt in Mannheim, Honorarprofessor an der Universität Mannheim. |