R&W Abo Buch Datenbank Veranstaltungen Betriebs-Berater
 
 
 
ZLR 2025, 303
Sosnitza 

Zwischen Bürokratie und Innovation – Wohin steuert das Lebensmittelrecht?

Der 38. Deutsche Lebensmittelrechtstag fand im März 2025 in Wiesbaden unter dem Generalthema “Zwischen Bürokratie und Innovation – Wohin steuert das Lebensmittelrecht?” statt. Im Lebensmittelrecht und anderen Rechtsvorschriften, die sich auch an Lebensmittelunternehmen richten, wird allseits beklagt, dass die Regelungen an Umfang und inhaltlicher Tiefe – um nicht zu sagen Detailverliebtheit – zunehmen. Aufgrund des hohen Harmonisierungsgrades ist dieser Befund zunächst der Situation auf europäischer Ebene geschuldet, aber auch die nationale Umsetzung trägt ihren Teil dazu bei.

Vor diesem Hintergrund hat der 38. Deutsche Lebensmittelrechtstag im Nachgang zur Wahl des Europaparlaments im Jahre 2024 und der jüngst neu aufgestellten EU-Kommission zunächst das Thema aufgeworfen, ob nicht hier eine Rückbesinnung weg vom Mikromanagement und hin zu mehr Binnenmarkt vonnöten ist. Besonders erfreulich war hier, dass von Seiten der Kommission aus erster Hand über die aktuellen und jüngsten Ansätze zum Bürokratieabbau gerade auf dem Gebiet der Lebensmittelwirtschaft berichtet wurde. Wieviel von den mehr als 30 Gesetzesvorschlägen der Kommission, die unter der Flagge des Bürokratieabbaus zurückgezogen werden sollen, am Ende verbleibt, muss die nächste Entwicklung zeigen. Zu den übrigen Themen des ersten Blocks, der der aktuellen Entwicklung im Unionsrecht gewidmet war, gehörte auch eine nähere Darstellung der neuen Zwangsarbeits-VO, die mit ihrem generellen Verbot von Produkten, die in Zwangsarbeit hergestellt sind, gerade auch erhebliche Konsequenzen für das Lebensmittelrecht haben wird. Für Diskussionen sorgte auch das Thema der “legitimen Faktoren” in der Novel-Food-Zulassung. Hier steht vor allem die Befürchtung im Raum, dass die im Normtext vorgesehenen “sonstigen Faktoren” ein Einfallstor für eher politische als rechtliche Erwägungen sein könnten. Auch das Thema der Lebensmittelverschwendung nahm einen breiten Raum auf der diesjährigen Tagung ein. So wurde zum einen das im Jahre 2023 vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft in Auftrag gegebene Rechtsgutachten vorgestellt, das die rechtlichen Rahmenbedingungen für eine Weitergabe von Lebensmittelspenden und die damit verbundenen Implikationen im Einzelnen untersucht hat. Im späteren dritten Themenblock zum Vertrieb und zur Kennzeichnung wurde zum anderen komplementär dazu die jüngst verabschiedete Überarbeitung der Abfallrahmenrichtlinie untersucht.

Der zweite Themenblock war dem Lebensmittel-Sektor und dessen Kontrolle gewidmet. Hier stand zunächst die Ernährungswirtschaft als kritische Infrastruktur und mögliche Resilienzmaßnahmen angesichts der jüngsten politischen Entwicklungen, Stichwort Covid-Pandemie, Ukrainekrieg und Gasmangellage, im Zentrum. Daran anschließend wurde die Verfassungsbeschwerde des Bundesamtes für VerbraucherZLR 2025 S. 303 (304)schutz und Lebensmittelsicherheit unter die Lupe genommen, mit der sich die Behörde gegen die Zulassung eines Pflanzenschutzmittels im Wege der gegenseitigen Anerkennung unter Berufung auf das justizielle Grundrecht auf die Gewährleistung des gesetzlichen Richters beruft. Spezifisch aus der Perspektive der Lebensmittelüberwachung wurde dann über Gegenwart und Zukunft von informellen Sachverständigengremien, namentlich des ALS (Arbeitskreis Lebensmittelchemischer Sachverständiger) und ALTS (Arbeitskreis der auf dem Gebiet der Lebensmittelhygiene und der Lebensmittel tierischer Herkunft tätigen Sachverständigen) diskutiert. Den Abschluss des ersten inhaltlichen Tagungstages bildete dann eine konzise Darstellung des Datenschutzes in der Lebensmittelkette, die den Tagungsteilnehmern plastisch vor Augen führte, wie der Datenschutz in seiner heute weit ausgebauten Form im Grunde in alle Lebensbereiche gerade auch der Lebensmittelpraxis eingreift und wie vielfältig die daraus resultierenden Anforderungen heute sind.

Der dritte Themenabschnitt befasste sich schließlich mit Problemen des Vertriebs und der Kennzeichnung. Den Auftakt machte hier ein naturwissenschaftlicher Vortrag zu dem gegenwärtig heiß diskutierten Thema der “Ultra Processed Foods”. Hier wurde in klar verständlicher und nachgerade spannender Weise nicht nur der naturwissenschaftliche Hintergrund erläutert, sondern auch das Phänomen naturwissenschaftlicher Interessengruppen veranschaulicht, die die gesamte Debatte durchaus auch im Hinblick auf eigene Interessen gezielt prägen, ohne dass dieser Zusammenhang in der öffentlichen Debatte weithin wahrgenommen wird. Ein weiterer Schwerpunkt war wieder einmal eine aktuelle Information über die jüngsten Entwicklungen auf dem Gebiet der Health-Claims-Verordnung (EG) Nr. 1924/2006. Den Abschluss bildete dann ein Vortrag zu dem hoch kontroversen Thema der sogenannten “Shrinkflation”. Hier wurden nicht nur aktuelle Instanzurteile, sondern auch jüngste nationale Sonderregelungen etwa in Frankreich und in Italien äußerst kontrovers diskutiert.

Wie gewohnt werden wir in diesem und in den folgenden Heften wieder die wichtigsten Beiträge des letzten deutschen Lebensmittelrechtstags veröffentlichen, um die aktuelle Diskussion nicht nur abzubilden, sondern auch weiter zu begleiten und zu fördern.

Prof. Dr. Olaf Sosnitza, Würzburg*

*

 Wissenschaftlicher Leiter des 38. Deutschen Lebensmittelrechtstags, Vorsitzender des Beirats der WGL, Mitglied im Beirat der ZLR.

 
stats