Netzpolitik
Der Krebsgang bei der Internet(-glücksspiel)Regulierung endet bei der Turbobiene in Brüssel
Die deutsche Internetwirtschaft wächst gewaltig. Das Umsatzniveau wird sich bis zum Jahr 2016 auf satte 87,4 Mrd. Euro erhöhen – eine Zunahme um 71 Prozent innerhalb von nur fünf Jahren.1 Damit bleibt die Internetwirtschaft in den kommenden Jahren auch weiterhin eine der dynamischsten Industrien in Deutschland. Eine fortschrittliche EU-rechtskonforme Netzpolitik fehlt indes. Die Enttäuschung über den schlechten Zustand der Internetregulierungen in Deutschland entlädt sich in den letzten Wochen mehrfach, und zwar nicht in einem bloßen Gewitter, sondern in einem mächtigen Orkantief.
In der Vorweihnachtszeit wetterte der größte Internetwirtschaftsverband Europas, der Verband der deutschen Internetwirtschaft (Eco), im Handelsblatt gegen die Bundregierung: „Statt die Entscheidungsmacht der Großen Koalition für wegweisende Weichenstellungen zu nutzen, hangelt sie sich im Krebsgang – zwei Schritte vor, einen zurück – von einer Baustelle zur nächsten“. Deutschland befinde sich daher nach wie vor in einer „digitalen Warteschleife“.2
Am 10. 12. 2014 warf die Eco zusammen mit vier weiteren Internetverbänden (zusammen mehr als 1.500 Internetwirtschaftsunternehmen!) in einem gemeinsamen Brief an Landesregierungen den Ländern im Zusammenhang mit der deutschen Internet-Glücksspielregulierung eine rückwärtsgewandte „online-kritische Grundhaltung vor, die die Möglichkeiten des Internets weitestgehend ausblende“.3 In dem Brief, der von Unternehmen wie zum Beispiel der Deutschen Telekom (BVDW), SAP (eco), RTL interactive (DVTM) und der Deutsche Post Zahlungsdienste (pvd) unterstützt wurde, heißt es unverblümt:
„Die deutsche Glücksspielregulierung hat in nicht einmal zehn Jahren drei Staatsverträge erlebt. Im Gegensatz zu vielen anderen Mitgliedstaaten der EU, die den Online-Glücksspielsektor umfassend reguliert haben,4 hat Deutschland einen sehr restriktiven Ansatz gewählt, der ohne ausreichende Begründung nur wenige Sportwettarten zulässt“.5 Zur geplanten Anwendung des von mir immer wieder als ungeeignet kritisierten Vollstreckungsinstruments, dem. sog. Financial Blocking, heißt es zutreffend: „Die Internetwirtschaft verwehrt sich zudem gegen fragwürdige und datenschutzrechtlich bedenkliche Eingriffe in die Internetinfrastruktur.“ Gestützt wird diese These aktuell durch Datenschützer.6
Und was machen die Länder angesichts dieses scharfen Gegenwindes?
Experimentieren, evaluieren und stagnieren. Sie experimentieren mit 20 Wettlizenzen, wobei sie bis dato über einen untauglichen Versuch der Lizenzvergabe nicht hinauskommen. Sie evaluieren über eine länderoffene Arbeitsgruppe, nur um in ihrem Zwischenbericht festzustellen, dass der „GlüStV ohne Auswirkung bleibt“7 und sie stagnieren, wie eine Mel¬
Selbst der klaren Empfehlung der EU Kommission, Verbraucherschutzstandards beim Online Glücksspiel endlich zu regulieren, widersetzen sich die Länder und schlagen die Harmonisierungsempfehlungen in den Wind.9 Hierbei ignorieren die Verantwortlichen seit Jahren die Tatsache, dass das Bundesland Schleswig-Holstein bereits seit Jahren über eine fortschrittliche Internetglücksspielregulierung verfügt, die alle EU-Empfehlungen und EU-Vorgaben bereits jetzt umgesetzt hat.
Wie geht es weiter?
Letzte Ausfahrt: Brüssel. Die Länder gehen im Jahr 2015 im Krebsgang auf ein Vertragsverletzungsverfahren zu. Deutschland wird damit das Schicksal von Schweden10 teilen, das Ende 2014 von der EU Kommission aufgrund seiner ungerechtfertigten Internetglücksspielverbote vor dem EuGH verklagt wurde. Und da Günther Oettinger von sich weniger als Krebs, sondern mehr als „Turbo-Biene“11 reden macht, wird er als zuständiger EU Kommissar die digitale Warteschleife sehr bald zuziehen.
Wolfgang Kubicki
1 | Arthur D. Little (2013) &eco: „Die deutsche Internetwirtschaft 2012–2016“, S. 10; vgl. https://www.eco.de/wp-content/blogs.dir/eco_adl_report2013_web1.pdf. |
2 | Handelsblatt (Online-Ausgabe) vom 19. 12. 2014; abrufbar unter http://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/internetwirtschaft-eu-kommissar-oettinger-wird-zum-hoffnungstraeger/11140298.html. |
3 | Der Brief vom 10. 12. 2014 ist abrufbar unter http://www.dvtm.net/index.php?id=157&tx_ttnews[tt_news]=294&cHash=c86e724146add25dae0ae8ee6cc891e0. |
4 | Zu den wichtigsten Segmenten des europäischen Online-Glücksspielmarktes zählen u. a. Online-Sportwetten (inkl. Live-Wetten), Online-Poker, Online-Casinospiele (z. B. Roulette, Black Jack, Baccara und Slots) sowie Online-Bingo. DER SPIEGEL beziffert allein den deutschlandweiten Spieleinsatz bei Internetkasinos auf 17 Mrd. Euro jährlich, „Milliarden verzockt“, DER SPIEGEL 49/2014, S. 16. |
5 | MECN-Studie Beobachtung und Darstellung der Entwicklung des Schwarzmarktes für Glücksspiele im Internet im Rahmen der Evaluierung nach § 32 GlüStV, S. 4 f. |
6 |
7 | MECN-Studie (Fn. 5), S. 34. |
8 | Pressemeldung abrufbar unter: http://www.lotto-news.de/lottogesellschaften-laender-stehen-konsequent-zum-gluecksspielstaatsvertrag-201428423. |
9 | Der Bundesrat nimmt die Empfehlung der Kommission vom 14. Juli 2014 mit Grundsätzen für den Schutz von […] Nutzern von Online-Glücksspieldienstleistungen und für den Ausschluss sowie Minderjähriger von Online Glücksspielen (2014/478/EU) zur Kenntnis. Der Bundesrat bekräftigt seine Auffassung, dass ein Bedürfnis für eine Harmonisierung im Bereich des OnlineGlücksspiels nicht besteht; https://www.umwelt-online.de/PDFBR/2014/0424_2D14.pdf. |
10 |
11 | SZ-Artikel abrufbar http://www.genios.de/presse-archiv/artikel/SZ/20141206/die-turbobiene/A58758576.html. |