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BB 2025, I
Probst 

Unternehmerische Resilienz in geopolitisch herausfordernden Zeiten: guter (Aufsichts-)Rat ist gefragt

Abbildung 1

Starke Vorstände fordern gute Aufsichtsräte als Sparringspartner – wenn nicht, hat der Aufsichtsrat schon bei der Auswahl keinen guten Job gemacht.

Unternehmerische Resilienz – das neue Zauberwort? Wie schon immer, wird – je nach aktueller Situation – ein angeblich neues Thema von verschiedenen Seiten in den unternehmerischen Diskursen nach vorne getrieben. Ist es aber wirklich neu? Die seit der Covid-Pandemie über den Russland-Ukraine-(Europa-?)Krieg bis aktuell zur neuen amerikanischen “Irrealität” täglich zunehmend Realität gewordenen geopolitischen und geoökonomischen Entwicklungen zeichnen sich durch bisher in dem Ausmaß nicht gekannte Volatilitäten (nur als Beispiel: Zölle? – welche Zölle? – in welcher Woche?) aus. Die damit verbundenen Unsicherheiten stellen global agierende Unternehmen und ihre Vorstände und Aufsichtsräte vor besondere Herausforderungen beim Erreichen ihrer Wachstumsziele.

Resilienz ist die Fähigkeit, schwierige Situationen ohne dauerhafte Beeinträchtigungen zu überstehen. In unserer Zeit der “Multikrisen” ist das für eine große Unternehmensorganisation eine Herausforderung. Während der Münchner Sicherheitskonferenz im Februar 2025 gab es eine bemerkenswerte Diskussion erfahrener Vorstände und Aufsichtsräte zum Thema “Geopolitics and Corporate Resilience”, die eindrucksvoll zeigte, worauf es nun ankommt, wenn Vorstände und Aufsichtsräte in gemeinsamen Sitzungen im Boardroom diskutieren: Agilität, also Geschwindigkeit und Flexibilität, ist eine der wesentlichen Antworten auf die heutigen globalen Herausforderungen. Agilität ist wesentlicher Bestandteil unternehmerischer Resilienz und sollte damit auch Teil der Führungs- und Unternehmenskultur sein. Die Geschwindigkeit, mit der Unternehmen auf Herausforderungen reagieren müssen, hat sich deutlich erhöht: Konflikte sind laufend zu analysieren, Risiken und Chancen zu bewerten, um dann global strategisch ausgewogen reagieren zu können – mit entsprechenden Handlungsszenarien.

Flexibles Handeln muss bspw. sowohl bei Absatzmärkten als auch in Bezug auf die Lieferketten vorgedacht werden. Die globale Absatzverteilung sollte möglichst ausgewogen sein, denn eine einseitige Abhängigkeit birgt ein hohes unternehmerisches Risiko. Bei globalen Lieferketten sind Single-Sourcing-Strategien zu gefährlich, Unternehmen sollten eine Entkopplung der Lieferketten durchführen. “Flaschenhälse” gilt es unbedingt zu vermeiden. Dann kann man auch schneller auf Marktanpassungen reagieren.

Auch in Bezug auf den Umgang mit Sicherheit und Sicherheitspolitik muss neu gedacht werden. Geopolitik und Risikomanagement müssten essenzieller Bestandteil strategischer Planung sein. Man sollte in Szenarien denken und Kontingenzpläne haben, um bei Störungen umgehend reagieren zu können. Von großer Bedeutung ist auch der Umgang mit Technologie und Innovation, vor allem mit Künstlicher Intelligenz (KI) zur Stärkung der Resilienz auch in Europa. Hier steht die moderne KI- und Information-Technology-(IT-)gestützte Sicherheitsarchitektur im Fokus, gerade auch bei kritischer Infrastruktur (Energie, Telekommunikation etc.). Die genannten Aspekte müssen auch wesentlicher Bestandteil der Erörterungen in den gemeinsamen Sitzungen von Vorstand und Aufsichtsrat sein.

Da sind sie, die “Unwörter”: “gemeinsame Sitzungen von Vorstand und Aufsichtsrat” und: “Boardroom”. Als ob Aufsichtsräte und Vorstände sich einen Raum teilen würden, was für eine schreckliche Vorstellung für “Puristen”! Die Diskussion rund um die vermeintlich klare Trennung der Verantwortlichkeiten zwischen Vorstand (Unternehmensführung) und Aufsichtsrat (Überwachung und Beratung) ist so alt wie die Diskussion über Vor- und Nachteile der verschiedenen Corporate-Governance-Systeme. Sie wird auch nie enden. Der Praxisimpuls “Aufsichtsrat als strategischer Sparringspartner: Ein Gewinn für Unternehmen” der Kodex-Kommission im Februar (https://www.dcgk.de/files/dcgk/usercontent/de/download/2501%20Praxis-Impuls%20-%20Aufsichtsrat%20Strategie.pdf, Abruf: 18.6.2025) hat weiteren Diskussionsstoff dazu geliefert. Sie liefert auch gleich konkrete Anhaltspunkte zur Umsetzung – und siehe da – innerhalb des deutschen Corporate-Governance-Systems. Warum auch nicht? Seit einigen Jahren werden auf Hauptversammlungen mit zunehmender Tendenz Zusammensetzung und Kompetenzmatrix des Aufsichtsrats kritisch hinterfragt – manchmal kritischer als die Vorstandskompetenz. Warum streben Share- und Stakeholder nach einer zunehmend “perfekten” Besetzung der Aufsichtsräte? Sicher nicht, um diese hochwertigen Ressourcen dann für eine nachhaltig positive Unternehmensentwicklung brachliegen zu lassen – und zwar gerade in schwierigen Situationen, wenn es auf Erfahrung ankommt, und darauf, substanziellen Input zu geben, ohne im operativen “Kleinklein” gefangen zu sein, und bewusst mit – zusätzlicher – mittel- und langfristiger Perspektive. Sollte das nicht normal sein? Drehen wir es doch einmal um: Als Vorstand braucht man einen erfahrenen Sparringspartner. Das muss man dann aber auch aushalten! Starke Vorstände brauchen daher gute Aufsichtsräte, um im Zuge (auch) gemeinsamer Strategiesitzungen ihre eigenen Ansätze zur Unternehmensstrategie challengen zu lassen, sonst sind sie keine starken Vorstände – und dann hat der Aufsichtsrat schon bei der Auswahl keinen guten Job gemacht. Der erste Schritt zur unternehmerischen Resilienz ist daher der konstruktiv-kritische Diskurs der Gremien zur Aktualisierung der Unternehmensstrategie im neuen Umfeld – und das ist kein “Hexenwerk”, genau so wenig wie Resilienz ein “neues Zauberwort” ist.

Prof. Dr. Arno Probst, WP/StB, leitet als Partner bei der Deloitte GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft das Deloitte Board Program und das Center for Corporate Governance in Deutschland. Seit 2024 ist er zudem als Global Boardroom Program Lead auch für die globale Koordination der Boardroom-Aktivitäten bei Deloitte zuständig. Er ist Honorarprofessor an der Leuphana Universität Lüneburg. Der Beitrag stellt seine persönliche Meinung dar.

 
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