Betriebsrentenrecht
Berechnungsdurchgriff des BAG bei Rentenanpassungen im Konzern
Auf den ersten Blick dürfte das Urteil des BAG vom 26.5.2009 (3 AZR 369/07) nicht wirklich überraschen, wird damit doch das Begehren eines Versorgungsempfängers, wegen der Beendigung eines Gewinnabführungs- und Beherrschungsvertrages von dem ehemals herrschenden Unternehmen Sicherheit geleistet zu bekommen, mangels Sicherungsinteresse zurückgewiesen. Auf den zweiten Blick jedoch stößt man auf äußerst brisante, wenngleich nicht entscheidungsrelevante, Verlautbarungen. Danach soll bereits das Vorliegen eines Beherrschungsvertrages “ohne weitere Voraussetzungen” ausreichend sein, um einen Berechnungsdurchgriff zu rechtfertigen. Weiter führt das BAG aus, dass in einem solchen Fall auf die wirtschaftliche Lage des herrschenden Unternehmens abzustellen sei, die “die infolge der Anpassung der Betriebsrenten etwa entstehenden Verluste der abhängigen Gesellschaft nach § 302 AktG auszugleichen” habe. Das BAG rückt damit von seiner ständigen Rechtsprechung zum Berechnungsdurchgriff ab, die auf dem vom BGH entwickelten Institut des “existenzvernichtenden Eingriffs” (Existenzvernichtungshaftung) aufgesetzt hat (zuletzt Urteil vom 18.2.2003, 3 AZR 172/02). Dass das BAG diesen Richtungswechsel klammheimlich unter Verweis auf seine bisherige Rechtsprechung und in einem ungewöhnlich aufwendigen obiter dictum vollzogen hat, ist bemerkenswert.
Als gesichert galt bislang, dass sich neben einer verdichteten Konzernverbindung, die insbesondere im Falle eines Beherrschungsvertrages angenommen wurde, zudem eine konzerntypische Gefahr verwirklicht haben musste. Darunter wurden Maßnahmen des herrschenden Unternehmens wider die Interessen der abhängigen Gesellschaft verstanden, die dazu führten, dass ihr eine Rentenanpassung wirtschaftlich nicht zugemutet werden konnte. Im Übrigen oblag es den Versorgungsempfängern, die Erfüllung dieser Voraussetzungen darzulegen und im Streitfall zu beweisen.
Bedeutet der Richtungswechsel, dass künftig bereits allein ein Beherrschungsvertrag zu einem Berechnungsdurchgriff führt oder hat das BAG eine Hintertür offen gelassen?
Für die Beantwortung dieser Frage ist das Urteil zunächst in den Kontext der jüngeren Entscheidungen des BGH zur Existenzvernichtungshaftung zu setzen. Der BGH hat dieses Institut, nach welcher die Gesellschafter einer Kapitalgesellschaft ausnahmsweise für eine Überschuldung der Gesellschaft haften, in den letzten Jahren weiterentwickelt. Danach können die Gesellschafter nunmehr nur noch bei einer sittenwidrigen vorsätzlichen Schädigung (§ 826 BGB) in Anspruch genommen werden (Urteile vom 16.7.2007 – II ZR 3/04 – “TRIHOTEL” und 28.4.2008 – II ZR 264/06 – “GAMMA”). Vor diesem Hintergrund wird verständlich, weshalb das BAG die Voraussetzungen des Berechnungsdurchgriffs nicht länger in Anknüpfung an die Existenzvernichtungshaftung festzulegen bereit war. Das Vorsatzerfordernis hätte einen Rückgriff auf das herrschende Unternehmen zukünftig nahezu unmöglich gemacht, zumal die Versorgungsempfänger insoweit darlegungs- und beweispflichtig gewesen wären. Die Emanzipation von der Rechtsprechung des BGH muss aber noch nicht zwingend bedeuten, dass damit zugleich auch die bisher vom BAG anerkannten und für interessengerecht befundenen Voraussetzungen für einen Berechnungsdurchgriff insgesamt aufgegeben worden sind.
Dagegen spricht zum einen, dass das BAG den Richtungswechsel in der Tradition seiner bisherigen Rechtsprechung zu begreifen scheint. Zum anderen findet diese Sichtweise dogmatische Bestätigung in dem Urteil selbst. Genauer in den Ausführungen des BAG zu der Frage, ob bzw. inwieweit bei Beendigung eines Beherrschungsvertrages das herrschende Unternehmen durch eine hinreichende Dotierung sicherzustellen hat, dass die ehemals abhängige Gesellschaft zukünftig zu Rentenanpassungen in der Lage sein wird. Eine entsprechende Dotierungspflicht soll danach gerade nicht in jedem Fall bestehen. So gibt das BAG zu erkennen, sie u. a. dann verneinen zu wollen, wenn die ehemals abhängige Gesellschaft bereits “vor Abschluss des Beherrschungsvertrages die Anpassung der Betriebsrenten wegen schlechter wirtschaftlicher Lage ablehnen durfte”. Daraus ergibt sich, dass sich neben der Kündigung des Beherrschungsvertrages letztlich auch eine Art “konzerntypische Gefahr” verwirklicht haben muss. Dies ist auch interessengerecht. Besteht doch ersichtlich kein Grund dafür, die Versorgungsempfänger besser zu stellen, als sie ohne die zwischenzeitlich beendete Konzernverdichtung gestanden hätten.
Nach alledem ist festzuhalten, dass das BAG die Voraussetzungen für einen Berechnungsdurchgriff von dem Institut der Existenzvernichtungshaftung abgekoppelt hat. Weiter ist festzuhalten, dass ein Beherrschungsvertrag für sich allein nicht zwangsläufig zu einem Berechnungsdurchgriff führt. Vielmehr müssen nach Ansicht des Autors im Einzelfall noch besondere, in der Sphäre des herrschenden Unternehmens liegende Umstände hinzutreten, die die abhängige Gesellschaft erst in die Lage versetzt haben, den Anpassungsbedarf nicht (vollständig) befriedigen zu können. Da die Darlegungs- und Beweislast für das Nichtvorliegen solcher Umstände das Unternehmen treffen dürfte, empfiehlt es sich vor Abschluss eines Beherrschungsvertrages die wirtschaftliche Lage der abhängigen Gesellschaft vorsorglich zu dokumentieren.
Florian Cramer, RA und Senior Associate im Bereich Legal & Tax Consulting der Mercer Deutschland GmbH