Russland: Tagungsbericht: 4. Gesellschaftsrechtstag Russland (23.10.2014 in München)
Zum vierten Mal veranstaltete die Deutsch-Russische Juristenvereinigung e.V. (DRJV, www.drjv.org) den Gesellschaftsrechtstag Russland, dieses Mal in München. Wie schon bei den vergangenen Veranstaltungen in Hamburg (2007), Wiesbaden (2009) und Berlin (2011) hatten hochrangige und renommierte Experten aus Russland und Deutschland als Referenten zugesagt.
Der stellvertretenden Vorsitzenden der DRJV, Prof. Dr. Rainer Wedde, der die Veranstaltung moderierte, betonte in seiner Einführung, wie wichtig gerade in Zeiten der Krise und Abkühlung im deutsch-russischen Verhältnis der Dialog zu rechtlichen Fragen bleibe. Trotz der politischen Entfremdung kann im Reformprozess des russischen Zivil- und insbesondere des Gesellschaftsrechts eine Annäherung der beiden Rechtsordnungen beobachtet werden.
Im ersten Vortrag beleuchtete Prof. Dr. Jewgenij Suchanow von der Staatlichen Lomonossow-Universität Moskau „Grundlegende Probleme der jüngsten Reform im Gesellschaftsrecht“. Als Mitglied der Kommission zur Überarbeitung des russischen Zivilgesetzbuchs ist Prof. Suchanow in den Reformprozess unmittelbar involviert. Die Änderungen in Bezug auf das Gesellschaftsrecht (4. Teil des 1. Buches des russischen Zivilgesetzbuches - ZGB) sind weitgehend zum 1.9.2014 in Kraft getreten. Die kommerziellen Gesellschaften (Personen- und Kapitalgesellschaften) werden nun in sieben verschiedenen Gesellschaftsformen organisiert. Diese Zahl stellt eine erhebliche Reduzierung gegenüber ursprünglich 40 Rechtsformen dar, ist aber nach Ansicht von Prof. Suchanow noch immer zu unübersichtlich. Daneben kennt das neue russische Gesellschaftsrecht nichtkommerzielle Gesellschaften wie etwa die „Gesellschaft von Immobilieneigentümern“ (Art. 123.12 ZGB).
Bei den Kapitalgesellschaften werden nach amerikanischem Vorbild öffentliche Gesellschaften (börsennotierte Aktiengesellschaften) und nichtöffentliche Gesellschaften (sonstige Aktiengesellschaften und GmbH) unterschieden. Dieses Verständnis und die Liberalisierung der Gesetzgebung sollen helfen, Moskau als internationales Finanzzentrum zu etablieren und internationale Investoren anzulocken. Die Attraktivität soll dabei insbesondere durch die Möglichkeit von Gesellschaftervereinbarungen (shareholder agreements) gesteigert werden, in denen die gesellschafterinternen Beziehungen individuell ausgestaltet werden können. Prof. Suchanow blieb diesbezüglich jedoch skeptisch, da diese Vereinbarungen geheim blieben. Zu begrüßen seien aber die Neuerungen im Beschlussmängelrecht.
Im zweiten Vortrag referierte Dr. Joachim Schramm vom Ostinstitut der Hochschule Wismar zum Thema „Zwischen Liberalisierung und Regulierung – zur Entwicklung des russischen Gesellschaftsrechts vor dem Hintergrund der Globalisierung“. Aus rechtsvergleichender Perspektive sah Dr. Schramm Ansatzpunkte einer Annäherung an die kontinentaleuropäischen Rechtsordnungen, etwa im Beschlussmängelrecht oder beim „Vier-Augen-Prinzip“ im Rahmen der Geschäftsleitung. Gewisse dogmatische Schwächen der neuen Gesetzeslage seinen normal, auch im deutschen Recht stehe die Dogmatik mitunter dem Pragmatismus nach. Als Beispiel nannte er die Wohnungseigentümergemeinschaft, die keine juristische Person darstelle, aber als solche zu behandeln sei.
Danach ging es um konkrete Inhalte der Reform. Prof. Wedde (Wiesbaden Business School) referierte rechtsvergleichend zum Generaldirektor. In Art. 53 Pkt. 1 ZGB wurde statuiert, dass die Gesellschaftsorgane Vertreter gem. Art. 182 Pkt. 1 ZGB seien. Ferner wurde das sog. „Zwei-Schlüssel-Prinzip“ eingeführt; danach könne die Geschäftsleitung auch aus mehr als einem Generaldirektor bestehen. Es blieben aber noch zahlreiche offene Fragen, etwa bei der Ausgestaltung der Gesamtvertretung, der Registrierung von mehreren Generaldirektoren oder der Unterscheidung der Vertretungsmacht im Innen- und Außenverhältnis. Abschließend erläuterte Prof. Wedde einige Fragen zur Organhaftung.
Im nächsten Vortrag referierten die Rechtsanwälte Ksenia Ilina und Steffen Kaufmann von DLA Piper München/Moskau zu „Änderungen im Umwandlungsrecht“. Den meist steuerlich motivierten Umwandlungen komme insofern besondere Bedeutung zu, als es in Russland nahezu keine Asset-Deals gibt und daher zu übertragende Vermögensgegenstände im Rahmen der Umwandlung in eigene Gesellschaften transferiert werden müssen. Nach neuem Recht ist es nun möglich, verschiedene Umwandlungsvorgänge in einem Schritt durchzuführen.
Anschließend stellte Prof. Dr. Andrej Egorov, stellvertretender Leiter des Forschungszentrums für Privatrecht beim Präsidenten der RF „Aktuelle Entwicklungen zur Durchgriffshaftung“ dar. Diese spiele aufgrund des nach wie vor sehr geringen Mindestkapitals von Kapitalgesellschaften eine besondere Rolle. Ferner führen sog. „Gesellschafter-Ketten“ (die unmittelbaren Vertragspartner sind nur finanzschwache Gesellschaften größerer Gesellschaftsstrukturen) zu Problemen bei der Durchsetzung von Haftungsansprüchen. Vor allem bei der gesamtschuldnerischen Haftung von Mutter- und Tochtergesellschaften gebe es noch zahlreiche Fragen, ebenso bei der Haftung auf nicht vollständig einbezahlte Stammeinlagen.
Im abschließenden Vortrag referierte Rechtsanwalt Hannes Lubitzsch, LL.M., Noerr Moskau, zu den Großgeschäften. Hier hat die Anordnung des Plenums des Obersten Arbitragegerichts Nr. 28 vom 16.5.2014 wichtige Klarstellungen gebracht. Ausgehend von der Rechtsfolge, dass unwirksame Großgeschäfte rückabgewickelt werden müssen, habe die Anordnung zu einer deutlichen Verbesserung der Rechtsklarheit geführt, wenngleich einige Unsicherheiten fortbestünden.
Im Anschluss ergab sich eine lebhafte Diskussion, ob das russische Gesellschaftsrecht sich stärker am kontinentaleuropäischen oder am angelsächsischen Vorbild orientiere.
Dr. Matthias Farian, Rechtsanwalt (Thümmel, Schütze & Partner), Stuttgart