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ZLR 2015, 687
Mettke 

Zwei Seelen wohnen – ach – in meiner Wurst

Nun also die Wurst. 22 Experten aus 10 Ländern haben im Auftrag der Weltgesundheitsorganisation (WHO) mehr als 800 Studien ausgewertet und den Fleischverzehr aus Gesundheitsgründen auf eine Stufe mit Rauchen und Radioaktivität gestellt. Salami, Würstchen, Räucherspeck, Trockenfleisch und andere verarbeitete Fleischprodukte, so ihr Urteil, könnten zu Darmkrebs führen. Je 50 g, die pro Tag gegessen werden, steigerten das Risiko für Darmkrebs jeweils um 18%. Diese Hiobsbotschaft wird die Gesellschaft in vielen Ländern in ihren Grundfesten erschüttern. So wissen wir aus den Gesprächsprotokollen der Nobelpreisträgerin Svetlana Alexeijewitch mit den Sowjetbürgern, dass die Wurst für Russland von immenser Bedeutung ist. „Alle träumen, so heißt es, von einem neuen Leben – von massenhaft Wurst an den Ladentheken zu sowjetischen Preisen, Wurst das Maß aller Dinge, die Liebe zur Wurst ist bei uns etwas essentielles. 100 Sorten Wurst, welche Freiheit brauchen wir noch. Viele wollen noch heute die Sowjetunion zurück, aber mit jeder Menge Wurst.“1 Daraus wird nun nichts mehr, wegen der WHO. Nun ja; schließlich ist auch die DDR – vulgo Bockwurstrepublik – Geschichte. Immerhin die Thüringer Bratwurst hat sich gehalten und genießt neben dem Wessiprodukt Nürnberger Bratwurst den Herkunftsschutz in der Europäischen Union. Diese können bei großzügiger Betrachtung zum deutschen Kulturgut gerechnet werden und sind damit als solche für alle Ernährungsexperten unangreifbar. Ob dies andere Länder auch von sich behaupten können ist fraglich. Bei der Ungarischen Salami könnte man schon mit dem täglichen Verzehr von 20 g dem Tode etwas näher rücken, mein Lieblingsgericht beim Italiener „Penne salsiccia“ werde ich allerdings beibehalten.

Warum kommt der Angriff auf die Wurst erst jetzt? Bei der quasireligiösen Verdammnis der Grundnahrungsmittel aller Art wie Weizen, Zucker, Salz, Fett, Milch war das Fleisch schon lange prädestiniert, von den Ernährungsexperten in den Orkus geworfen zu werden. Erst im Mai dieses Jahres erschien in der Süddeutschen Zeitung ein Artikel „Die Milch macht’s nicht mehr, vom gesunden Kraftspender zum angeblichen Krankmacher“.2 Tatsächlich hat die vermeintlich richtige Ernährung, verbunden mit einer allgegenwärtigen Angst vor Krankheit, religiöse Züge angenommen. Dafür sprechen die Titel vieler Ernährungskatechismen wie „Food Bibel“, „Gluten-Bibel“, „Kleine Veganer Bibel“, „Die Fett-Weg-Bibel“, „Brot und Wein, gesund essen mit der Bibel“, alle sind in der Sprache religiöser Bekenntnisliteratur gehalten. Ein besonders anschauliches Beispiel dafür ist das Buch: „Brot und Wein“ des Bibelexperten Walter Jörg Langbein. Danach lautete bereits das Motto des als Ernährungsexperten besonders ausgewiesenen Jesus von Nazareth „lieber mehr Fisch und weniger Fleisch und dazu gern auch ein Schluck Wein“.3 Schließlich hat Jesus 5000 Mann am See ZLR 2015 S. 687 (688)Genezareth mit Fisch und Brot statt mit Fleisch vor dem Hunger bewahrt. Jesus muss zumindest eine Ahnung davon gehabt haben, dass Fisch wegen seiner Omega-3-Fettsäuren gesünder als Fleisch ist. Natürlich ist in einem solchen Buch auch von der „Milchlüge“ die Rede, auch das Fett war den Menschen angeblich verboten, weil es „Gott gehört“. Dagegen spricht, wie beim Propheten Jesaja nachzulesen ist „Und der Herr Zebaoth wird auf diesem Berg allen Völkern ein fettes Mahl machen, ein Mahl von reinem Wein, von Fett, von Mark, von Wein, darin keine Hefe ist“.4 Dies hat der Ernährungs- und Bibelexperte allerdings geflissentlich übersehen.

In einem Kommentar in der Süddeutschen Zeitung hat die Journalistin Kathrin Zinkat geschrieben: „Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat eine ideologisch gefärbte Debatte angezettelt, das wird ihr zu Recht vorgeworfen. Im Kern ist ihre Warnung, verarbeitetes Fleisch, Schinken, Wurst erhöhe das Risiko zur Erkrankung nur eins, unverantwortlich.“5 Aber das ist leider kein Einzelfall. Es gilt für alle derartigen Nahrungsmittelverrufe gegen Milch und Weizen, Salz und Zucker. „Die Ernährungsforschung“ schreibt der Journalist Sebastian Herrmann „trägt ihren Teil dazu bei, dass Extremisten ihre Saga vom Gift verbreiten können. Die Disziplin liefert notorisch viele und berüchtigt unzuverlässige Ergebnisse, aus denen sich mit Leichtigkeit Horrorfilme mit wissenschaftlichem Tarnanstrich produzieren lassen.“6

Zu den schlimmen Mangelerkrankungen in früheren Jahrhunderten gehörte die Fleischarmut, unter der die überwiegende Anzahl aller Menschen, die sich Fleisch nicht leisten konnten, litt. Eine Wohlstands- und Überflussgesellschaft, die zudem immer mehr von Armuts- und Hungerkrisen eingekreist wird, sollte aufhören, ständig die Axt an das eigene Fundament zu legen.

Fleisch galt und gilt als die Nahrung der Starken; Kraft oder Krebs.

Zwei Seelen wohnen – ach – in meiner Wurst.

Rechtsanwalt Thomas Mettke, München

1

Swetlana Alexeijewitch, „Second Hand Zeit“, Berlin 2005, S. 187, 542.

2

Jenny Hoch, „Die Milch macht’s“, SZ v. 16./17. 5. 2015, S. 49.

3

Walter Jörg Langbein, „Brot und Wein, gesund Essen mit der Bibel“, München 2007, S. 78 und 73.

4

Das Alte Testament, Jesaja – Das große Freudenmahl, 25, 6.

5

Kathrin Zinkert, „Das Fleisch ist schwach“, SZ v. 28. 10. 2015.

6

Sebastian Hermann, „Schurkensaat“ SZ v. 2. 11. 2014, S. 37.

 
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