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ZFWG 2015, 293
Hayer 

Sportwetten und Nebenwirkungen

Ein suchtpsychologischer Exkurs

Kulturübergreifend erfreuen sich Wetten jeglicher Art großer Beliebtheit. Wesentliche Triebfeder des aktuell zu beobachtenden Trends der „Kommerzialisierung des Sportwettens“ ist die Erschließung neuer Vertriebswege: So können Spielinteressierte online aus einem nahezu unbegrenzten Wettangebot schöpfen und prinzipiell zu jeder Zeit und von jedem Ort aus „zocken“. Diese Entwicklungsdynamik bringt jedoch unerwünschte Nebenwirkungen mit sich, die eine stetige Neubewertung dieser Spielform im Hinblick auf das Suchtpotenzial verlangt. Gerade die aus Anbietersicht ökonomisch relevanten Live-Wetten mit ihrer hohen Ereignisdichte bergen dabei nicht unerhebliche Suchtgefahren.1

Abbildung 1

Ferner bilden kognitive Verzerrungsmuster ein wesentliches Element bei der Entwicklung glücksspielbezogener Probleme.2 Wenngleich ein geringer Kompetenzanteil beim Sportwetten nicht zu negieren ist, sprechen die empirischen Befunde eine eindeutige Sprache: Sportwetter neigen zu einer Überschätzung der Einflussnahme auf den Spielausgang; die selbstzugeschriebene Expertise macht sich weder im Vergleich zu Kontrollgruppen (z. B. Laien) noch finanziell in signifikanter Weise bemerkbar.3 Offenbar bedingt jener Irrglaube die Aufrechterhaltung des Wettverhaltens mit den bekannten psychosozialen und finanziellen Folgeschäden maßgeblich.

Weiterhin stellt sich die Frage, welche Personengruppen besonders häufig unter den Sportwettern mit Glücksspielproblemen zu finden sind. In erster Linie ist hier die natürliche Nähe von Sportbegeisterung, Sportaktivität und Sportwetten von Bedeutung. Verschiedene Kasuistiken aus dem Profisport deuten die Affinität von Fußballspielern zu Glücksspielen im Allgemeinen oder Sportwetten im Speziellen an.4 Eine erste systematische Befragung von 346 Profisportlern (Fußball, Cricket) in Großbritannien bestätigt erhöhte Prävalenzen glücksspielbezogener Probleme im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung.5 Die dahinterliegenden Wirkmechanismen dürften sich als komplex erweisen und verschiedene Domänen wie spezifische Lebensumstände (u. a. Verfügbarkeit von relativ viel Zeit und Geld), bestimmte Persönlichkeitsmerkmale (u. a. Wettbewerbsorientierung, Risikofreude), karrieretypische Aspekte (u. a. ausbleibende Erfolgserlebnisse aufgrund von Verletzungen) und besondere Bedingungen des Umfeldes (u. a. das Erleben von Glücksspielen als Normalität) betreffen.

In eine ähnliche Richtung verweisen die Befunde aus dem Breitensport. Unter anderem konnte im Rahmen einer Pilotstudie nachgewiesen werden, dass erwachsene Mitglieder von Sportvereinen (vorwiegend Fußball) überzufällig häufig Sportwetten platzieren und vermehrt von glücksspielbezogenen Problemen betroffen sind.6 Ebenso erhöht die Ausübung von Vereinssport im Jugend¬ZfWG 2015 S. 293 (294)alter das Risiko für ein exzessives bzw. problematisches Glücksspielverhalten.7

Vor diesem Hintergrund bleibt abzuwarten, wie Sportvereine und insbesondere der Deutsche Fußball-Bund sowie die Deutsche Fußball-Liga als Dachverbände auf die wissenschaftlichen Erkenntnisse reagieren und ob Präventionsbemühungen zukünftig mit der gebotenen Ernsthaftigkeit vorangetrieben werden.8 Unabhängig davon sind die Entscheidungsträger aufgefordert, die mit dem Sportwetten-Sponsoring einhergehenden Interessenkonflikte zu reflektieren und die Bedeutung der sozialen Verantwortung gegenüber den eigenen finanziellen Interessen kritisch abzuwägen.

Dr. Tobias Hayer, Bremen

1

Für eine inhaltlich mittlerweile im Detail veraltete, in der Sache aber immer noch aktuelle Publikation s. Hayer T. & Meyer, G., Sportwetten im Internet – Eine Herausforderung für suchtpräventive Handlungsstrategien, SuchtMagazin, 2004, 30 (1), 33-41. Für empirische Belege s. BZgA, Glücksspielverhalten und Glücksspielsucht in Deutschland 2013, 2014, Köln: BZgA.

2

Meyer, G. & Hayer, T., Das Gefährdungspotenzial von Lotterien und Sportwetten, 2005, Düsseldorf: Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen.

3

Exemplarisch hierfür stehen die Ergebnisse von Towfigh, E. & Glöckner, A., Game over: Empirical support for soccer bets regulation. Psychology, Public Policy, and Law, 2011, 17, 475-506.

4

Vgl. z. B. mit den Autobiographien von René Schnitzler (Löer, W. & Schäfer, R., Zockerliga, 2011, Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus) und Toni Schumacher (Anpfiff, 1987, München: Droemer Knaur), der seinem Mitspieler Eike Immel attestierte, „wie ein Süchtiger“ zu pokern (S. 53).

5

Wardle, H. & Gibbons, A., Gambling among sports people, 2014, London: NatCen Social Research.

6

Meyer, G., Meyer, J., Zielke, M. & Hayer, T., Verbreitung von Sportwetten und glücksspielbezogenem Suchtverhalten in Sportvereinen: Eine Pilotstudie, 2013, Praxis Klinische Verhaltensmedizin und Rehabilitation, 92, 189-196.

7

Für einen Überblick internationaler Studien vgl. mit Hayer, T., Jugendliche und glücksspielbezogene Probleme: Risikobedingungen, Entwicklungsmodelle und Implikationen für präventive Handlungsstrategie, 2012, Frankfurt/M.: Peter Lang.

8

Erste Schritte, die primär unter dem Deckmantel der Prävention von Spielmanipulationen laufen, sind hier einzusehen: http://gemeinsam-gegen-spielmanipulation.de/index.php/startseite.

 
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