Simuliertes Glücksspiel
Zeit für eine Regulierung
Dem Markt für simuliertes Glücksspiel in internetbasierten sozialen Netzwerken (Social Gambling) wird eine rosige Zukunft vorausgesagt.1 Simuliertes Glücksspiel ist als digitale interaktive Glücksspielaktivität zu kennzeichnen, die keinen direkten Einsatz von Geld erfordert, aber ansonsten aufgrund des Einsatzes virtueller Währung und des als zufallsbedingt wahrgenommenen Spielausgangs strukturell identisch ist mit klassischen Glücksspielen.2 Die fünf größten Anbieter bei Facebook hatten 2012 mit Spielformen wie Zynga Poker, Slotomania, DoubleDown Casino, Bingo Blitz und Best Casino weltweit 49,8 Mio. aktive Nutzer im Monat und 11,2 Mio. tägliche Spieler.3 Spiele in der digitalen Welt sind inzwischen auch in deutschen Kinderzimmern präsent. Mehr als die Hälfte der 8-Jährigen (55%) geht ins Internet, um dort zu spielen.4 Unter den 14-24-Jährigen nutzen 98% das Netz.5
Die Anbieter klassischer Glücksspiele haben die Attraktivität des Marktes erkannt und mehrere Unternehmen (wie bspw. Double Down Interactive, Dragonplay, Playtika) übernommen. Primäres Ziel ist es, die Basis potenzieller Konsumenten zu erweitern und die Spieler zum Umstieg auf echte Glücksspiele zu bewegen. Diesen Weg empfehlen auch Wirtschaftsanalysten. Durch die Aussicht auf echte (monetäre) Belohnung prognostizieren sie für viele Spieler einen Umstieg vom simulierten zum klassischen Glücksspiel.6
An einer Regulation des Marktes für simuliertes Glücksspiel fehlt es bisher in Deutschland. Die formal-juristischen Kriterien für ein Glücksspiel nach dem Glücksspielstaatsvertrag, wie das Verlangen eines Entgelts für den Erwerb einer Gewinnchance,7 sind bei diesen Spielformen nicht erfüllt. Entsprechend bestehen keine Altersrestriktionen. Minderjährige können sich legal im Internet an Pokerpartien beteiligen, ihr Glück am Spielautomaten versuchen und den Reiz des Roulettespiels kennenlernen. Nach dem „Freemium Model“8 ist eine Teilnahme zwar grundsätzlich kostenlos. Der Zukauf von virtueller Währung oder Gegenständen, um z. B. Wartezeiten zu verkürzen, den Spielablauf zu erleichtern oder sich weitere funktionale oder ideelle Vorteile gegenüber anderen Teilnehmern zu sichern, ist jedoch möglich. Derartige Mikrotransaktionen sind nach den Befunden einer ersten Längsschnittstudie ein entscheidender Prädiktor für den Umstieg zum klassischen Glücksspiel.9 Neben den Einnahmen aus den Mikrozahlungen finanzieren sich die Spiele zudem über Werbung, die sich sehr passgenau auf die Zielgruppen zuschneiden lässt. Es verwundert wohl kaum, dass diese Spiele ohne Ausnahme Werbung für klassische Glücksspiele auf kommerziellen Internetseiten machen.10 Eine weitere Eigenheit der meisten simulierten Glücksspiele bezieht sich auf den Spielablauf: Während beim klassischen Glücksspiel wie dem Automatenspiel (Pseudo-)Zufallsprozesse über den Spielausgang entscheiden, kommen beim simulierten Glücksspiel – aus Anbietersicht im Übrigen ohne finanziellen Mehraufwand – komplexe Algorithmen zur Förderung der Spiellust zum Tragen. Auf Verlustphasen folgen automatisch Gewinnphasen, damit Spielteilnehmer nicht dau¬
Aufgrund des offensichtlichen Gefährdungspotenzials simulierter Glücksspiele, wie die Entwicklung eines problematischen Spielverhaltens (hoher Zeit- und Geldaufwand für diese Spielformen) und das Risiko des Umsteigens auf echte Glücksspiele (speziell bezogen auf Jugendliche), ist es an der Zeit, dass sich der Gesetzgeber mit der Regulation des Marktes befasst. Selbst die wirtschaftsfreundlichen Analysten von Morgan Stanley schätzen ein Regulierungsszenario als wahrscheinlich ein.12 In Europa haben sich bereits die Glücksspielkommissionen in Belgien und Großbritannien der Thematik angenommen. Die belgische Kommission hat eine strafrechtliche Verfolgung des Anbieters von „Game of War: Fire Age“ eingeleitet, weil er Minderjährigen casinotypische Spiele offeriert und zur Geldausgabe animiert habe. Die britische Kommission schätzt die individuelle und soziale Gefährdung durch simulierte Glücksspiele selbst als gering ein, sieht aber weiteren Klärungsbedarf zu der Frage, ob diese Spiele einen Türöffner für weitaus schädlichere Verhaltensweisen darstellen.13
In Deutschland hat der Bundesgerichtshof zumindest zu einem Teilaspekt, der Werbung für den kostenpflichtigen Erwerb virtueller Güter, ein Urteil gefällt.14 Im Fall des Fantasierollenspiels „Runes of Magic“, dessen erforderliche Software zum kostenlosen Herunterladen zur Verfügung stand, wurde die Werbung für den Kauf von Spielgegenständen („Schnapp Dir die günstige Gelegenheit und verpasse Deiner Rüstung & Waffen das gewisse Etwas“) als Kaufaufforderung für Kinder untersagt.
Das Editorial soll auf die Problematik simulierter Glücksspiele in sozialen Netzwerken hinweisen und die Frage der Regulierung in den Fokus der Entscheidungsträger rücken. Die Konvergenz digitaler Medien und sozialer Netzwerke mit klassischen und neuen Formen des Glücksspiels ist mit besonderen Risiken speziell für vulnerable Populationen wie Minderjährige verbunden. Das neue Medium simulierter Glücksspiele a) erhöht die Verfügbarkeit und Attraktivität von Glücksspielen, b) verbreitet Fehlinformationen über Glücksspiele, c) erleichtert die Flucht vor psychischen, familiären und sozialen Problemen, d) schafft ein Umfeld, in dem Gruppendruck zur Spielteilnahme auffordert, e) fördert die Übernahme elterlicher Einstellungen gegenüber Glücksspielen und f) verstärkt letztlich die Allgegenwärtigkeit und soziale Akzeptanz von Glücksspielen15. Im Hinblick auf den Jugendschutz rechtfertigen bereits die vorhandenen Erkenntnisse erste präventive Maßnahmen, wie ein Werbeverbot für das Spiel um Geld und die Verpflichtung zu Wamhinweisen über gesteuerte Spielabläufe, die in der Folge unrealistische Gewinnerwartungen beim echten Glücksspiel initiieren.
Univ.-Prof. Dr. Gerhard Meyer, Bremen
1 | Morgan Stanley, Blue Paper, 14, Nov. 2012. |
2 | Meyer/Brosowski/von Meduna/Hayer, Simuliertes Glücksspiel: Analyse und Synthese empirischer Literaturbefunde zu Spielen in internetbasierten sozialen Netzwerken, in Form von Demoversionen sowie Computer- und Videospielen, ZGP, 2015, 23, 1-16. |
3 | Crowdpark, The state of the social games industry, Feb. 2012. |
4 | DIVSI, U9-Sudie, Kinder in der digitalen Welt, Apr. 2015. |
5 | DIVSI, U25-Studie, Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene in der digitalen Welt, Feb. 2014. |
6 | Morgan Stanley, Blue Paper, 14, Nov. 2012. |
7 | GlüStV vom 15. 12. 2011, § 3. |
8 | Geschäftsmodell, bei dem das Basisprodukt kostenlos angeboten wird. |
9 | Kim/Wohl/Salmon/Gupta/Derevensky, Do social casino gamers migrate to online gambling? An assessment of migration rate and potential predictors, JGamblStud, 2014, DOI: 10.1007/s10899-014-9511-0. |
10 | Downs, Young people playing with risk: Social networking and the normalisation of gambling behaviors, Leisure Studies Association, 2010, 109, 25-47. |
11 | Meyer/Brosowski/von Meduna/Hayer, Simuliertes Glücksspiel: Analyse und Synthese empirischer Literaturbefunde zu Spielen in internetbasierten sozialen Netzwerken, in Form von Demoversionen sowie Computer- und Videospielen, ZGP, 2015, 23, 1-16. |
12 | Morgan Stanley, Blue Paper, 14, Nov. 2012. |
13 | Gambling Commission, Social gaming, Jan. 2015. |
14 | BGH, Urt. v. 17. 7. 2013 – I ZR 34/12, juris, bestätigt durch BGH, Urt. v. 18. 9. 2014 – I ZR 34/12, juris. |
15 | King/Delfabbro/Griffiths, The convergence of gambling and digital media: Implications for gambling in young people, J Gambl Stud, 2010, 16, 175–187 |