„Legale Täuschung“ – Die Verbraucher im Dickicht des Kleingedruckten
Kunden sind heute so gut informiert und geschützt wie nie zuvor – behaupten jedenfalls die Lebensmittelindustrie und der Einzelhandel. Indes gibt es mehr Beschwerden und Nachfragen denn je von Verbrauchern. Das belegen zumindest die Zahlen der Verbraucherzentralen. Denn im Dickicht aus Verpackungslyrik und Kleingedrucktem ist so mancher Verbraucher ratlos. Die Fallstricke für die Verbraucher soll dieser Einkauf exemplarisch zeigen:
Unser Verbraucher legt großen Wert auf Frische und entscheidet sich für die Frische Vollmilch aus dem Kühlregal. Eine Putensalami ist für diejenigen die erste Wahl, die kein Schweinefleisch essen wollen. Daneben liegt der Schinkensalat, der ein hochwertiger Brotaufstrich zu sein verspricht. Besonders angetan ist der Verbraucher auch von der Konfitüre mit den „heimischen Fruchtsorten“, damit kann man doch die Landwirte aus der Region unterstützen. Das Olivenöl trägt das Qualitätsurteil „sehr gut“ von der Stiftung Warentest und weckt Aufmerksamkeit. Die Erdbeermilch lacht ihn an, weil die leckeren Erdbeeren auf der Packung einem das Wasser im Mund zusammen laufen lassen. Und wer auf seine Linie achtet, nimmt die Pizza aus der Tiefkühltheke, die laut Nährwertangaben auf der Packung relativ wenige Kalorien enthält. Zu guter Letzt landet die Tütensuppe, die offenbar keine Geschmacksverstärker enthält, im Einkaufskorb.
Wer, wie dieser und viele andere Verbraucher, seinen Einkauf zwischen Beruf und Familie mal schnell erledigt, der fällt auf so manche Etikettenschummelei herein:
Die „Frische Milch“ ist nicht frisch, sondern entpuppt sich als hocherhitzte ESL-Milch mit Kochgeschmack. Die Putensalami enthält mehr als 50 Prozent Schweinefleisch, der Schinkensalat enthält keinen Schinken, sondern „Formvorderschinken“. Die „heimischen Fruchtsorten“ für die Konfitüre kommen nicht vom Bauern um die Ecke, sondern werden aus ganz Europa zusammengekarrt, wie im Internet nachzulesen wäre. Das Olivenöl wurde gar nicht mit „sehr gut“ bewertet, sondern erweist sich als Nachfolgeprodukt des Testsiegers mit schlechterer Sensorik. Die Erdbeermilch enthält keine Erdbeeren, stattdessen roten Farbstoff und Aroma. Die Pizza ist eine Kalorienbombe, denn die Nährwertangaben haben sich auf die halbe Pizza bezogen. Und die Tütensuppe enthält doch Geschmacksverstärker, nur „geschmacksverstärkende Zusatzstoffe“ wurden verbannt. Welcher Verbraucher ohne Lebensmittelchemiestudium versteht diesen Unterschied?
Diese wenigen Beispiele zeigen, dass die Qualität von Lebensmitteln auf die Schnelle nur schwierig zu beurteilen ist. Auch bei den Gewichtsangaben müssen Verbraucher auf der Hut sein, um den Anbietern auf die Schliche zu kommen:
Der Schokoladen-Riegel sieht wie immer aus, nur irritiert die krumme Mengenangabe von 57 g. Hat diese „Light“-Version früher nicht einmal 60 g gewogen? Zweifel bleiben, ob es sich hier um eine versteckte Preiserhöhung „Weniger drin, Preis gleich“ handelt, wer merkt sich schon den Grundpreis für Schokoriegel. Bei den Chips fällt einem eine große Packung ins Auge, die für den langen Fußballabend vor dem Fernseher die richtige Wahl zu sein scheint. Wer zugreift, wird sich wundern, dass sie so leicht ist. Aber Verbraucher wissen, was Richter von ihnen erwarten, wenn es um Packungen geht, die scheinbar mehr Inhalt vortäuschen wollen: Sie fühlen, drücken und schütteln, um die Füllhöhe festzustellen – auch wenn die Qualität der Produkte leidet.
Auch Schnäppchenjäger sind nicht vor Einkaufsfallen gefeit: Das Supersonderangebot ist teilweise schon nach wenigen Stunden ausverkauft. Für Verbraucher ein Ärgernis, wenn sie sich extra auf den Weg gemacht haben. Da hilft auch nicht die Fußnote „Artikel kann wegen begrenzten Vorrats schon am ersten Tag ausverkauft sein“ weiter. Oder es wird beispielsweise mit einem durchgestrichenen Preis für ein Parfüm geworben, das über 60% günstiger sein soll. Ein kleines unscheinbares Sternchen verweist auf die „Unverbindliche Preisempfehlung des Herstellers (UVP)“. Soviel hat das Parfüm aber nie gekostet und das vermeintliche Sonderangebot erweist sich als gleich teuer wie zuvor.
Zu Hause vor dem Computer wartet schon die nächste Aufgabe für den Fulltimejob „Informierter Verbraucher“: Die AGB der Billigairline für den Urlaubsflug müssen noch durchforstet werden, denn bei den 39 Euro laut Internet dürfte es wohl nicht bleiben…
Es ist immer mehr Detektivarbeit notwendig, um die Tricks der Anbieter zu durchschauen und im Wirrwarr der Angebote den Durchblick zu behalten. Das Lebensmittel- und Wettbewerbsrecht wird diesen veränderten Rahmenbedingungen nicht immer gerecht. Hersteller und Händler sollten mehr vom Kunden her denken, dann würde so manches Verbraucherärgernis erst gar nicht auftreten.
Armin Valet
Staatl. geprüfter Lebensmittelchemiker
Fachabteilung Ernährung und Lebensmittel
Verbraucherzentrale Hamburg e.V.