Gesundheit hat Vorrang
In seiner Jahresbilanz 2010 warnte der deutsche Zoll erst kürzlich die Verbraucher abermals vor zunehmenden Arzneimittelfälschungen aus aller Welt. Wenn an Flughäfen, in Seehäfen oder in Hinterhöfen wieder einmal wirkungslose Tabletten oder gepanschte Pülverchen sichergestellt werden, horcht die Nation auf. Denn nicht immer sind es nur Großlieferungen krimineller Banden, sondern oft genug auch Einzelbestellungen scheinbar sorg- und argloser Mitbürger bei dubiosen Internetversendern aus dem World Wide Web. Dass dieser Trend besorgniserregend ist, versteht sich von selbst.
Doch warum sind Arzneimittelfälschungen überhaupt ein Problem? Mancher Jurist könnte darauf eine pragmatische Antwort finden: Weil Medikamentenplagiate als Marken- und Produktpiraterie einzustufen und deshalb strafverfolgungswürdig sind. Auch der Zoll folgt dieser Logik mit seiner Zentralstelle Gewerblicher Rechtsschutz. Als dessen oberste Bundesbehörde verkündet das Bundesministerium der Finanzen die jährlichen Aufgriffe und Verfahren. Nicht zuletzt befasst sich auch das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie mit dem Schutz geistigen Eigentums.
Auf viele Apotheker wirkt dieser Fokus auf Wirtschaftsrecht und Patentschutz ziemlich einseitig. Immerhin geht es nicht um farbunechte T-Shirts oder billig riechende Parfüms. Arzneimittel sind Güter besonderer Art, die gegen Krankheit und für Gesundheit eingesetzt werden. Verschrieben werden sie vom Arzt und abgegeben vom Apotheker. Bei rezeptfreien Präparaten ist der Pharmazeut sogar der einzige Heilberufler, der die Eigendiagnose des Patienten hinterfragen kann. Kurzum: Arzneimittelsicherheit ist für die Menschen auf der Straße lebenswichtig und ganz konkret.
Der wichtigste Tipp an die Verbraucher muss deshalb lauten, keine Arzneimittel auf dubiosen Internetadressen im Ausland zu bestellen. Die sicherste Art, ein „echtes“ Medikament zu bekommen, ist und bleibt der Gang zur Apotheke um die Ecke. Davon haben wir mehr als 21.000 im Bundesgebiet. Selbst in der Nacht und am Wochenende sind 2.000 Apotheken dienstbereit. Da sie nur bei registrierten Herstellern und Pharmahändlern einkaufen dürfen und ihren Wareneingang prüfen müssen, ist eine nachvollziehbare Lieferkette der wirksamste Schutz gegen Plagiate.
Durch eine neue EU-Richtlinie soll dieses Jahr noch ein weiterer großer Schritt zu mehr Patientensicherheit erfolgen und ein europaweites Authentifizierungssystem eingeführt werden. Jede einzelne Arzneimittelpackung soll neben der Chargenbezeichnung eine individuelle Nummer bekommen, die in der Apotheke identifiziert werden kann. So lassen sich letzte Zweifel an der Echtheit ausräumen. Der Zusammenschluss der Apotheker in der Europäischen Union (ZAEU) und seine nationalen Mitgliedsorganisationen wie die ABDA bereiten gemeinsam mit ihren Marktpartnern und der EU-Kommission eine zügige und praktikable Umsetzung der Richtlinie vor. Überall in Europa sollen Menschen Vertrauen und Sicherheit haben.
Heinz-Günter Wolf
Präsident der ABDA – Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände und
Präsident des Zusammenschlusses der Apotheker in der Europäischen Union (ZAEU)