Bewusstseinswandel dringend geboten
Niedergang ist kein Schicksal, sondern von uns selbstverschuldet
Der heute wohl noch bekannteste Sozialreformer der Antike, Solon aus Athen (um 600 v. Chr.), beklagte den Zustand seiner Vaterstadt in einem Gedicht, das unter dem Namen Eunomia (=Wohlordnung) als ein Schlüsseltext des abendländischen Staatsverständnisses gilt. Daraus sind drei Zeilen bedenkenswert:
Nicht durch widriges Schicksal gehen Staaten zugrunde,
sondern die Bürger, durch Gier und Habsucht verführt,
drohen selber den Staat durch Unverstand zu verderben.
(ÜVerf).
Sind es aber nicht doch unabänderliche, schicksalhafte Verläufe, die Auf– und Abstieg bewirken? 2023 jährte sich zum 100. Male das Erscheinen von Oswald Spenglers Untergang des Abendlandes. Selten hat ein Buch so viel Aufsehen erregt. Seine Aussage trifft auch heute ein verbreitetes Gefühl. Wir sehen weltweite Entwicklungen namentlich in Ostasien und zweifeln an uns. Die Zweifel sind auch berechtigt! Im April 1998 erschien im Schwesterblatt des RIW, im Betriebsberater, ein Editorial von mir, das auch heute zutrifft. Daraus folgende Eingangszitate (kursiv).
Bis in die 60er Jahre waren wir Deutschen eigentlich ganz fröhlich. Seither sind wir zu einer griesgrämigen Gesellschaft geworden. Heute: Auf einer Zufriedenheits-Skala von 1 bis 10 kamen die Deutschen nur auf 6,5. Der EU-Durchschnitt liegt bei 7,1.Nur in Bulgarien (5,6) ist man unzufriedener.
Wir sorgen dafür, dass die nachfolgende Generation gar nicht erst geboren wird. Heute: Deutschland liegt mit 1,5/Frau hinten in der EU – Statistik. Demografen haben seit Jahrzehnten vor den Folgen nicht nur für die sozialen Sicherungssysteme gewarnt. Fachkräftemangel bedroht unsere Wirtschaft wie nie zuvor.
Als wichtigstes Einzelphänomen auf dem Weg zur Verdrossenheit bietet sich die Entwicklung des Steuerrechts und die Bürokratisierung bei uns an. Heute: Der BDI: Unnötige Bürokratie kostet Zeit und Geld, hemmt Innovationen und ist ein drängender Standortnachteil. Und: Eine Modernisierung und Vereinfachung der Unternehmenssteuern sind unverzichtbar.
Wir haben anscheinend noch dieselben Probleme wie vor 25 Jahren. Wer Verlauf und Ende unserer europäischen Referenzkultur, der griechisch-römischen Antike, betrachtet, findet auch dort dieselben Probleme nur in etwas anderem Gewand: Verlust der Innovationskraft-Kinderlosigkeit – Überbürokratisierung – Steuerdruck und mangelnde Bereitschaft, sich für den Staat einzusetzen. Selbst diktatorische Maßnahmen Diokletians um 300 n. Chr. verhinderten nicht die Zunahme von Bürokratie. Eingriffe wie Preisdiktate bewirkten nichts und machten das Volk im Ergebnis nur ärmer. Die theoretisch noch bestehende Wehrpflicht war längst außer Kraft gesetzt, und am Ende war niemand mehr bereit, für diesen Staat zu kämpfen. Es spricht in der Tat vieles für eine schicksalhafte Gesetzmäßigkeit des Aufstiegs und Verfalls von Staaten und Kulturen.
Wir Deutschen und Europäer sind allerdings die ersten in der bisherigen Geschichte, denen diese Verläufe wissenschaftlich erschlossen vor Augen stehen. Wir wissen, was geschehen kann und was wahrscheinlich geschehen wird, wenn wir uns hängen lassen. Dieses Wissen ist unsere Chance.
Wir laufen Gefahr, durch unüberlegte Gesetze und Aufblähung unserer Sozialausgaben unsere Wirtschaft zu überfordern. Spartenegoismus strategisch wichtiger Berufsgruppen lähmt die Wirtschaft. Ziviler Ungehorsam und lascher Gesetzesvollzug unterwühlen den Rechtsstaat. Die weltweit, aber auch bei uns sich zeigende Spreizung von Ultrareichtum und Dürftigkeit bedroht das soziale Gefüge. Unsere Wirtschaftsordnung ist die Soziale Marktwirtschaft. Ihr Programm ist Wohlstand für Alle (Ludwig Erhardt, 1957). Damit haben wir viel erreicht. Gesetze können Wohlstand aber nicht herstellen oder erhalten. Sie können nur im Sinne der Eunomia den Rahmen dafür geben, mit Fleiß und Sparsamkeit Wohlstand aufzubauen und zu sichern. An dieser Eunomia hapert es in unserer heutigen politischen Kultur. Unsystematische Ad – hoc – Gesetze, nicht nur im Steuerrecht, untergraben den Gesetzesgehorsam, und an Stelle von Verwaltung waltet Bürokratie Wir Deutschen sind auch nicht mehr so fleißig, wie man uns noch bis vor kurzem nachrühmte. Das soziale Sicherungssystem gibt oft keinen Anreiz, es zu sein und lädt im Gegenteil nicht selten dazu ein, sich hängen zu lassen. Sparsamkeit steht auch nicht mehr hoch in Ansehen. Der Begriff ist mit dem herablassenden Bild der schwäbischen Hausfrau belegt, die einfach nur zu störrisch ist, um mal richtig Geld auszugeben. Politisch ist Sparsamkeit fast zum Unwort geworden. Das führt zur Schuldenbremse des Grundgesetzes.
Hier müssen wir Farbe bekennen. Wir haben uns mit Vielerlei verwöhnt und reden nun sogar von einer 4-Tage-Woche bei, versteht sich, vollem Lohnausgleich. Dabei haben wir übersehen oder unterschätzt, was uns heute vor die Füße fällt: Verrottende Infrastruktur von der Bahn bis zu Schultoiletten, schleichende De-Industrialisierung, Abwanderung wichtiger KMU (Aden, RIW 2027, H.4 und 12), Mängel des Bildungswesens, den Wettbewerbsdruck der Weltmärkte. Die langfristigen Kosten der Globalisierung, einschließlich des Klimawandels (Aden, DZWIR 24, 1 ff.) noch nicht einmal gerechnet. Und manches mehr. Aber wer hört schon gerne Kassandrarufe? Die Schuldenbremse steht für weit mehr als ihr Name sagt. Ihre Kritiker planen daher reformfeindliche Umgehungsversuche, die mit dem Konzept der Sozialen Marktwirtschaft nicht mehr viel zu tun haben (Feld/Grimm FAZ v. 18. 1. 24). Die Schuldenbremse steht für die vor uns liegende Entscheidung: Weitermachen wie bisher oder Neuaufstellung des Staates im Sinn der Eunomia.
Ich wünsche allseits ein frohes Jahr 2024.
Dr. Menno Aden, Essen