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CB 2025, I
Fuhlrott 

CB 2025, Heft 04, Umschlagteil S. I (I)

HR-Compliance: Bewerbungsbemühungen und Annahmeverzugslohn

„Wer freistellt, trägt das finanzielle Risiko für den Zeitraum der Freistellung.“

Befindet sich der Arbeitgeber im Annahmeverzug, weil er den arbeitswilligen Arbeitnehmer nicht beschäftigt, kann dieser gleichwohl seinen Arbeitslohn verlangen. Allerdings muss sich der Arbeitnehmer das anrechnen lassen, was er böswillig zu erwerben unterlässt. So lautet die Regelung in § 615 S. 2 BGB, die seit einer beachtlichen und bisweilen als „Game-Changer“ bezeichneten Grundsatzentscheidung des Bundesarbeitsgerichts aus dem Jahr 2020 (BAG, Urt. v. 27. 5. 2020 – 5 AZR 387/19) zunehmend an Bedeutung gewinnt. Denn danach muss der Arbeitnehmer nach Ablauf der Kündigungsfrist selbst aktiv nach einer neuen Beschäftigung suchen, sich also als arbeitssuchend bei der Agentur für Arbeit (AfA) melden und sich nicht nur auf ihm übersandte Stellenangebote bewerben, sondern dies gegenüber dem Arbeitgeber auch nachweisen. Tut er dies nicht, steht der Vorwurf des böswilligen Unterlassens der Erzielung anderweitigen Verdiensts im Raum. Der gekündigte Arbeitnehmer droht also seines Annahmeverzugslohns verlustig zu gehen, selbst wenn er im Kündigungsschutzverfahren später obsiegt und seine Weiterbeschäftigung verlangen kann. Die Anforderungen an das konkret erforderliche Verhalten hat das BAG allein im letzten Jahr durch weitere Entscheidungen konkretisiert und u. a. entschieden, dass die Mitteilung der „Lustlosigkeit“ auf neue Stellenangebote gegenüber der AfA oder bei potentiellen neuen Arbeitgebern genügen kann, um sicher geglaubte Lohnansprüche zu verlieren (BAG, Urt. v. 7. 2. 2024 – 5 AZR 177/23) oder auch die vorsätzliche Beschäftigung zu einem weitaus zu niedrigen Gehalt den Annahmeverzugslohn ausschließen kann (BAG, Urt. v. 24. 1. 2024 – 5 AZR 331/22).

Best Practice aus Unternehmenssicht ist daher derzeit, die gekündigten Arbeitnehmer regelmäßig mit Stellenangeboten „zu versorgen“ und diese zur Bewerbung hierauf aufzufordern. Wie weit diese Pflicht des Gekündigten im noch bestehenden Arbeitsverhältnis geht, hatte in einer aktuellen Entscheidung (BAG, Urt. v. 12. 2. 2025 – 127/24, bislang nur vorliegend als PM Nr. 6/25) das BAG zu entscheiden. Die Besonderheit dort: Der Arbeitnehmer war im März 2023 zum 30. 6. 2023 gekündigt und unmittelbar freigestellt worden, der Arbeitgeber hatte ihm bereits im April diverse Stellenangebote zugeschickt. Der Arbeitnehmer bewarb sich aber erst zum Ende der Kündigungsfrist auf einen Teil dieser Positionen, das Unternehmen zahlte daraufhin für Juni 2023 unter Verweis auf die unterlassenen Bewerbungen keinen Lohn. Zu Unrecht, wie die höchsten deutschen Arbeitsrichter in ihrer aktuellen Entscheidung urteilten.

Nach Ansicht des BAG begründet die einseitige Freistellung durch den Arbeitgeber Annahmeverzugslohnansprüche gemäß § 615 Satz 1 BGB. Eine Verrechnung mit einem fiktiv erzielbaren Verdienst komme nur in Betracht, wenn der Arbeitnehmer in treuwidriger Weise untätig geblieben sei. Dies sei regelmäßig in einem gekündigten, aber noch nicht beendeten Arbeitsverhältnis nicht der Fall. Ausnahmen davon könne es nur geben, wenn die fortlaufende Beschäftigung des Arbeitnehmers unzumutbar sei.

Gleich, wie man die Entscheidung bewerten mag, schafft sie Rechtssicherheit für Arbeitnehmer und Unternehmen. Letztere müssen sich darauf einstellen, dass eine Freistellung jedenfalls für den Zeitraum des Bestands des Arbeitsverhältnisses nicht mit einer Verpflichtung zur Eigeninitiative des Arbeitnehmers einhergeht. Können Beschäftigte aber damit sanktionslos während der Kündigungsfrist die „Füße hochlegen“? Dies sicher nicht: Denn auch wenn für die Zeit der noch laufenden Kündigungsfrist keine Anrechnung nicht erzielten Verdiensts erfolgt, so sieht dies aber bereits ab dem ersten Tag nach Ablauf der Kündigungsfrist ganz anders aus. Hier werden Unternehmen gekündigten Arbeitnehmern zurecht unterlassene und nicht erzielte anderweitige Verdienste entgegenhalten, wenn der Arbeitnehmer sich nicht rechtzeitig auf ihm während der Freistellung übersandte Stellenausschreibungen beworben hat.

Zusammenfassend macht die Entscheidung damit deutlich: Wer freistellt, trägt das finanzielle Risiko für den Zeitraum der Freistellung. Mit dem Ende des Arbeitsverhältnisses ändert sich dies aber und der Arbeitnehmer ist in der Pflicht.

Abbildung 1

Prof. Dr. Michael Fuhlrott ist Partner bei FUHLROTT Arbeitsrecht in Hamburg. Er berät Unternehmen zu sämtlichen individual- und kollektivrechtlichen Fragestellungen mit einem Schwerpunkt im Arbeitnehmerdatenschutz.

 
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