Starkregen und Hochwasser: Aussetzung der Insolvenzantragspflicht 2021
Betroffene Geschäftsleiter der Starkregenfälle sind nicht schlechter zu stellen als Geschädigte der COVID-19-Krise.
Am 10. August 2021 meldete das Statistische Bundesamt (Pressemitteilung Nr. 376; https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2021/08/PD21_376_52411.html) für Mai 2021 1.116 Insolvenzanträge von Unternehmen. Dies waren 25,8 % weniger als im Mai 2020. Dieser erneut deutliche Rückgang verwundert im Hinblick auf die im Mai 2020 bereits ausgesetzte Insolvenzantragspflicht. Im Frühjahr 2020 war zunächst durch das COVInsAG vom 27. März 2020 (BGBl. I 2020, 569) die Insolvenzantragspflicht bis zum 30. September 2020 ausgesetzt worden. Durch das COVInsAGÄG vom 15. September 2020 (BGBl. I 2020, 2016) wurde diese Regelung – allerdings lediglich bei überschuldeten, nicht aber zahlungsunfähigen Rechtsträgern – bis zum 31. Dezember 2020 verlängert. Durch das SanInsFoG vom 22. Dezember 2020 (BGBl. I 2020, 3256) wurde die Insolvenzantragspflicht nochmals unter engen Bedingungen bis 31. Januar 2021 ausgesetzt. Im Zuge der Verzögerungen bei der Auszahlung der staatlichen Hilfen wurde durch das Gesetz zur Verlängerung der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht vom 15. Februar 2021 (BGBl. I 2020, 237) die Insolvenzantragspflicht nochmals bis zum 30. April 2021 ausgesetzt, wenn die erlangbaren Hilfen bis 28. Februar 2021 beantragt worden sind.
Im Juli 2021 kam es insbesondere in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen zu Starkregen- und Hochwasserereignissen, die fast 200 Todesopfer gefordert haben, derer am 1. September 2021 mit einem Staatsakt gedacht werden wird. Aber auch Unternehmen sind durch Starkregen und Hochwasser schwer getroffen worden.
Am 25. August 2021 hat sich der Deutsche Bundestag mit dem Gesetzentwurf zur vorübergehenden Aussetzung der Insolvenzantragspflicht wegen Starkregenfällen und Hochwassern im Juli 2021 befasst; die Initiative wurde an den federführenden Haushaltsausschuss zur weiteren Beratung überwiesen. Das Gesetz regelt zunächst die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht, sofern der Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung auf den Auswirkungen der Starkregenfälle oder Hochwasser im Juli 2021 beruht. Die Insolvenzantragspflicht ist ausgesetzt, solange die Antragspflichtigen ernsthafte Finanzierungs- und Sanierungsverhandlungen führen und solange dadurch begründete Aussichten auf Sanierung bestehen, allerdings längstens bis zum 31. Oktober 2021. Das Gesetz tritt rückwirkend zum 10. Juli 2021 in Kraft.
Es ist nicht neu, dass aufgrund von Wetterereignissen die Insolvenzantragspflicht ausgesetzt wird. Erstmals wurde im Jahre 2002 durch das Flutopfersolidaritätsgesetz vom 19. September 2002 (BGBl. I 2002, 3651) die Insolvenzantragspflicht ausgesetzt. Weitere Aussetzungen erfolgten durch das Gesetz zur vorübergehenden Aussetzung der Insolvenzantragspflicht bei hochwasserbedingter Insolvenz vom 15. Juli 2013 (BGBl. I 2013, 2401) und durch das Gesetz zur vorübergehenden Aussetzung der Insolvenzantragspflicht bei hochwasser- und starkregenbedingter Insolvenz vom 26. Juli 2016 (BGBl. I 2016, 1824), wobei bei diesen Regelungen offengeblieben ist, ob lediglich die Insolvenzantragspflicht ausgesetzt ist oder ob auch die Massesicherungspflicht entfällt. Beim COVInsAG hat der Gesetzgeber dies ausdrücklich geregelt, da in § 2 Abs. 1 Nr. 1 COVInsAG bestimmt worden ist, dass kein Verstoß gegen die Massesicherungspflicht bei Zahlungen vorliegt, die im ordnungsgemäßen Geschäftsgang erfolgen, insbesondere solche Zahlungen, die der Aufrechterhaltung oder Wiederaufnahme des Geschäftsbetriebes oder der Umsetzung eines Sanierungskonzepts dienen. Dies gilt gem. § 2 Abs. 5 COVInsAG auch im Anwendungsbereich der nunmehr in § 15b InsO geregelten Massesicherungspflicht, allerdings mit der Maßgabe, dass lediglich § 15b Abs. 1 bis Abs. 3 InsO gelten, also dem Geschäftsleiter in den COVID-Sachverhalten der Einwand abgeschnitten ist, dass durch die Zahlungen der Gläubigerschaft ein geringerer Schaden entstanden ist, auf den die Ersatzpflicht zu beschränken ist.
Die Regelung in § 1 des neuen Gesetzes bedarf eines Verweises auf die Massesicherungspflicht nicht, da § 15b InsO nunmehr unmittelbar an die Insolvenzantragspflicht anknüpft. Hinsichtlich der Enthaftung legt der Gesetzgeber nunmehr einen strengeren Maßstab als beim COVInsAG an und übernimmt schlicht § 1 des Gesetzes über die vorübergehende Aussetzung der Insolvenzantragspflicht bei hochwasserbedingter Insolvenz vom 15. Juli 2013. In den Starkregenfällen ist es erforderlich, dass die Antragspflichtigen ernsthafte Finanzierungs- oder Sanierungsverhandlungen führen und dadurch begründete Aussichten auf Sanierung bestehen. Nur unter diesen Voraussetzungen entfällt die Erstattungspflicht der Geschäftsleiter gem. § 15b InsO. Im Anwendungsbereich von § 2 Abs. 1 Nr. 1 COVInsAG war der Geschäftsleiter schon dann exkulpiert, wenn es sich um Zahlungen gehandelt hat, die der Aufrechterhaltung oder Wiederaufnahme des Geschäftsbetriebes oder der Umsetzung eines Sanierungskonzepts dienten. Warum der Geschäftsleiter eines Unternehmens, dessen Betriebs- und Geschäftsausstattung durch Starkregen oder Hochwasser zerstört worden ist und der Aufwendungen zur Wiederaufnahme des Geschäftsbetriebes tätigt, die aber nicht aussichtsreich sind, das Risiko des Misserfolgs trägt, während es beim COVInsAG lediglich auf ein Sanierungskonzept ankommt, nicht aber auf dessen Erfolgsaussichten, erschließt sich nicht.
Der Gesetzgeber hat zwischenzeitlich zudem eine schon im Januar 2021 zu Tage getretene Unsicherheit beseitigt (vgl. Schmittmann, BB 4/2021, “Die Erste Seite”). Gem. Art. 36 EGInsO (i. d. F. des MoPeG vom 10. August 2021, BGBl. I 2021, 3436) ist § 15b InsO erstmals auf Zahlungen anzuwenden, die nach dem 31. Dezember 2020 vorgenommen worden sind. Die bisherigen Vorschriften sind auf Zahlungen anzuwenden, die vor dem 31. Dezember 2020 vorgenommen worden sind.
Hinsichtlich der Rechtsfolgen überzeugt es nicht, wenn der Gesetzgeber jetzt den Geschäftsleitern von durch Starkregen und Hochwasser betroffenen Unternehmen höhere Haftungsrisiken auferlegt als seinerzeit den durch das COVInsAG privilegierten Geschäftsleitern. Hier sollte der Gesetzgeber nachbessern und die Ungleichbehandlung beseitigen.
Prof. Dr. Jens M. Schmittmann, RA/FAHaGesR/FAInsR/FAStR/StB, ist Chefredakteur der Zeitschriften Betriebs-Berater und Der Steuerberater und lehrt an der FOM Hochschule für Oekonomie und Management Essen Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, Wirtschafts- und Steuerrecht.