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BB 2006, I
Jahn 

Schweigen abwesender Aktionäre als Zustimmung? Ein Holzweg!

Abbildung 1

Unter dem Vorwand, die Hauptversammlung vor Schwindsucht schützen zu wollen, versucht offenbar manch Wirtschaftslenker, die kühnsten Träume von Vorständen Wirklichkeit werden zu lassen. So macht derzeit der Vorschlag die Runde, abwesende Aktionäre kurzerhand den Ja-Stimmen für die Vorlagen der Verwaltung zuzuschlagen. Doch Schweigen als Zustimmung – das gibt es sonst nur im Handelsrecht (und auch dort nur unter engen Voraussetzungen). Im Aktienrecht sollte man jedenfalls lieber die Finger davon lassen. Denn gerade bei dem niedrigen Mobilisierungsgrad, der heute häufig ist, verfügte das Management bei solch einer Zählweise stets über eine bombenfeste Betonmehrheit. Sicher kein gutes Zeichen für die weiterhin verbesserungsbedürftige “Corporate Governance”.

Schwindende – jüngst allerdings auch schon wieder leicht ansteigende – Präsenzquoten und damit die Gefahr von “Zufallsmehrheiten” sind zwar nicht gerade ein Aushängeschild für die viel beschworene “Aktionärsdemokratie”. Doch abgesehen davon, dass diese vom Gesetz auch gar nicht vorgesehen ist, weil die Anteilseigner nur sehr begrenzte Beschlusskompetenzen haben: Wer nicht erscheint, verzichtet nun einmal freiwillig auf sein Recht zur Mitbestimmung. Auch dieses Verhalten ist selbstverständlich vom Grundrecht auf Eigentum gedeckt.

Eine solche Abstinenz ist zudem weder verwerflich noch notgedrungen unvernünftig. Denn wer nur über ein kleines Aktienpaket verfügt, betrachtet seine Wertpapiere ohnehin eher als Finanzanlage denn als Engagement in ein bestimmtes Unternehmen. Eine vermeintlich falsche Geschäftspolitik kann solch ein Investor dann genauso gut mit der berühmten “Abstimmung mit den Füßen” bestrafen – einem Verkauf der Anteile nämlich. Dieses Mittel ist sogar wirkungsvoller, weil sinkende Börsenkurse der Alptraum eines jeden Managements sind. Und Wissenschaftler sprechen schon lange von “rationaler Apathie”, weil Kleinanleger sowieso keinerlei gesetzliches Quorum überspringen können, um wirklich mit zu entscheiden. Der Aufwand einer physischen Teilnahme am jährlichen Aktionärstreffen lohnt da also kaum.

Die Ängste von Managern beruhen ja in Wirklichkeit auch nicht auf der Sorge vor einem Verfall der Aktionärskultur. Unruhe schafft vielmehr die neue Spezies der “shareholder activists”, die etwa bei der Deutschen Börse AG Vorstand wie Aufsichtsrat aus dem Amt gejagt haben. Deren Einfluss steigt natürlich – einer Hebelwirkung gleich – umso stärker, je weniger langfristig ausgerichtete Mitgesellschafter ihr Votum abgeben.

Doch wenn auch einzelne Finanzinvestoren tatsächlich (den sprichwörtlichen Heuschrecken gleich) Unternehmen aussaugen und sie überschuldet sowie der Arbeitsplätze beraubt zurück lassen – in einer massiven Stärkung der Vorstände kann die Lösung solch volkswirtschaftlich fragwürdiger Phänomene nicht liegen. Unternehmen müssen eben noch stärker als bisher um ihre Investoren werben, ihre Ziele und Strategien auf den Weltmärkten erklären. Und auch unterhalb der Dax-30-Liga müssen sie alle Möglichkeiten nutzen, die ihnen bereits mehrere Rechtsreformen nach und nach verschafft haben, um Aktionäre aus dem In- und Ausland über das Internet an einer “virtuellen” Hauptversammlung teilnehmen zu lassen. Jüngste Initiativen aus Brüssel werden eine grenzüberschreitende Beteiligung noch erleichtern.

Die kürzlich vom Sparkassen- und Giroverband angeregte Deregulierung des Depotstimmrechts mag durchaus ein zusätzlicher Baustein sein, um die Abstimmungsquoten anzuheben. Niemand fordert, dass die Geldinstitute (wie ganz früher) nach eigenem Gutdünken abstimmen dürfen. Und umgekehrt darf man sie wahrlich auch nicht zur Abstimmung zwingen. Doch müssen die formalen Anforderungen zur Sicherung der Letztentscheidungsbefugnis des Anteilseigners tatsächlich nicht soweit gehen wie bisher. Vor der vermeintlichen “Bankenmacht” braucht sich spätestens seit der Auflockerung der “Deutschland AG” – welche die neue Machtposition angelsächsischer Fonds übrigens erst ermöglicht hat – nun wirklich niemand mehr zu fürchten.

Auch die Neuregelung der Anmeldeprozedur durch die Einführung eines “record date” mit dem Gesetz zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts (UMAG) mag manch institutionellem Investor die Teilhabe an den Abstimmungen erleichtern. Nachdenken ließe sich überdies über eine weitere kleine Reform – einen “Präsenzbonus” für Abstimmungsteilnehmer nämlich. Vorschreiben sollte der Gesetzgeber ihn nicht, möglich machen aber vielleicht schon.

Denn was spricht dagegen, dass die Anteilseigner die Möglichkeit erhalten, eine solche Belohnung in ihre Satzung aufzunehmen? Der Gleichheitsgrundsatz jedenfalls nicht: Gleich behandelt werden müssen schließlich nur gleiche Sachverhalte. Eine Prämie für den, der sich – selbst oder durch einen bevollmächtigten Vertreter – für das gemeinsame Unternehmen engagiert, schließt das nicht aus (so schon Noack, BB 42/2005, Die erste Seite). Und ärmer macht das die anderen Aktionäre auch nicht: Jedenfalls in Jahren, in denen überhaupt eine Dividende ausgezahlt wird, kann diese anteilig gekürzt werden.

Dr. Joachim Jahn, Frankfurt a. M.

 
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