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BB 2024, I
Mayer/Pordzik 

Happy birthday!
Bestandsaufnahme zum 20-jährigen Jubiläum der SE

Abbildung 1

Abbildung 2

Die Europäische Aktiengesellschaft hat sich in Deutschland etabliert und stellt auch für mittelständische (Familien-)Unternehmen eine erwägenswerte Rechtsform-Alternative dar.

Nahezu zeitgleich mit dem Erscheinen der vorliegenden Ausgabe des Betriebs-Berater feierte die Europäische Aktiengesellschaft Societas Europaea am 8.10.2024 ihr 20-jähriges Jubiläum. Anlass genug, der Rechtsform dieses Editorial zu widmen.

Mit der Europäischen Aktiengesellschaft stand Anfang des neuen Jahrtausends erstmals eine genuin europäische Gesellschaftsform zur Verfügung. Zu Beginn war die Resonanz aber noch verhalten – im ersten Jahr nach Einführung wurden europaweit lediglich 18 Gründungen verzeichnet. Das sollte sich allerdings schnell ändern. In den Folgejahren wuchs die Zahl der Neugründungen exponentiell: Nach 40 Gründungen im Jahr 2006 folgten annähernd 90 Gründungen im Jahr 2007 und fast 180 Gründungen im Jahr 2008. Darunter waren auch bekannte Unternehmen wie Allianz (2006), Porsche (2007) und BASF (2008), die frühzeitig diese neue Rechtsform gewählt und damit bekannt gemacht haben.

Dabei hat im deutschen Markt von Beginn an die monistisch verfasste Gesellschaftsstruktur großen Anklang gefunden und erfreut sich nach wie vor ungebrochener Beliebtheit; zuletzt waren fast 40 Prozent der operativ tätigen Gesellschaften in Deutschland monistisch organisiert. Das lässt sich auch darauf zurückführen, dass bereits die ersten Gründungen zu einem Großteil nicht von börsennotierten Großunternehmen veranlasst wurden, sondern von kleinen und mittleren (Familien-)Unternehmen ausgingen. Ein durchaus mutiger Schritt, bedenkt man, dass die Europäische Aktiengesellschaft in den Anfangsjahren verbreitet vor allem als Rechtsform für börsennotierte Großunternehmen angesehen wurde. Nicht zuletzt dank dieser Vorreiter setzte sich in den letzten Jahren mehr und mehr die Erkenntnis durch, dass die Europäische Aktiengesellschaft auch für mittelständische (Familien-)Unternehmen eine erwägenswerte Alternative darstellt – insbesondere in der monistischen Ausgestaltung. Die anfängliche Kritik, die gesetzlichen Rahmenbedingungen seien für Mittelständler zu verworren und die Organisation sei zu komplex, kann angesichts der nicht zu unterschätzenden Vorzüge so nicht aufrechterhalten werden.

Die Europäische Aktiengesellschaft bietet nämlich Gestaltungsfreiheiten, die in Deutschland sonst nicht zur Verfügung stehen: Ganz wesentlich ist dabei die Mitbestimmung der Arbeitnehmer, die zwischen Arbeitnehmervertretern und Unternehmensführung – jedenfalls im Grundsatz – frei verhandelt werden kann. Im Rahmen der Verhandlungen ist es regelmäßig zulässig, die Mitbestimmung gegenüber dem gesetzlichen Leitbild aus Drittelbeteiligungs- und Mitbestimmungsgesetz zu verringern oder gar gänzlich auf sie zu verzichten. Anders als im deutschen Recht kann das Unternehmen auch bei wachsender Arbeitnehmerzahl nicht in eine gesteigerte Mitbestimmung hineinwachsen, man spricht von der “Perpetuierung des Mitbestimmungsstatuts”.

Auch in Bezug auf die Binnenverfassung bietet die Europäische Aktiengesellschaft neue Optionen:

In der dualistischen Struktur besteht für große Unternehmen die Möglichkeit, den aufgrund mitbestimmungsrechtlicher Vorschriften aufgeblähten Aufsichtsrat auf eine überschaubare Größe zu verkleinern. Davon haben beispielsweise Allianz und BASF Gebrauch gemacht: Sie haben im Rahmen des Rechtsformwechsels ihre Aufsichtsräte von 20 auf 12 Mitglieder verkleinert.

Einen noch weiteren Gestaltungsspielraum bietet die monistische Struktur. Dabei liegt die Leitung der Gesellschaft beim Verwaltungsrat. Er bestimmt die Grundlinien ihrer Tätigkeit und überwacht deren Umsetzung. Für das Tagesgeschäft sind die geschäftsführenden Direktoren zuständig. Anders als Vorstände im dualistischen System unterliegen sie aber den Weisungen des Verwaltungsrats und können jederzeit abberufen werden. Zudem ist auch (teilweise) Personenidentität möglich: Die geschäftsführenden Direktoren können dem Verwaltungsrat angehören, solange sie dort nicht die Mehrheit bilden. Dadurch kann die Binnenverfassung an die spezifischen Bedürfnisse des jeweiligen Unternehmens angepasst werden. Das macht die monistische Struktur insbesondere für mittelständische (Familien-)Unternehmen interessant: Ein starker “Patriarch” hat größtmöglichen Einfluss, wenn er gleichzeitig als Vorsitzender des Verwaltungsrats und als geschäftsführender Direktor agiert. Will er sich zurückziehen, kann er sich auf die Rolle des Verwaltungsratsvorsitzenden beschränken und den designierten Nachfolger – relativ risikolos – als geschäftsführenden Direktor einsetzen. Auch für von mehreren Familienstämmen dominierte Unternehmen steht mit der Besetzung des Verwaltungsrats durch Familienmitglieder und einem externen geschäftsführenden Direktor eine interessante Gestaltungsoption bereit.

Letztlich lässt sich zum 20-jährigen Jubiläum konstatieren: Die Europäische Aktiengesellschaft hat sich mit Recht zu einer beliebten Rechtsform entwickelt. Sie ist nicht allein großen (börsennotierten) Unternehmen vorbehalten; auch für mittelständische (Familien-)Unternehmen stellt sie eine erwägenswerte Rechtsform-Alternative dar. Denn der Umgang mit der Europäischen Aktiengesellschaft ist mitnichten so komplex, dass auf ihre nicht zu unterschätzenden Vorzüge verzichtet werden müsste. Ein eigenständiger Beitrag der Autoren hierzu folgt demnächst.

Dr. Barbara Mayer, RAin/FAinHaGesR, Partnerin und Co-Leiterin der Praxisgruppe Corporate/M&A bei ADVANT Beiten. Sie ist u. a. Herausgeberin eines Handbuchs zur Aktiengesellschaft sowie eines Kommentars zur SE.

Dr. Philipp Pordzik, RA, ist Associate bei ADVANT Beiten, in den Bereichen M&A und Gesellschaftsrecht tätig und Autor zahlreicher Fachpublikationen.

 
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