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RIW-News
08.04.2014
RIW-News
Professor Dr. Claus Luttermann: Amerika, wohin gehst du: Freihandel unter "NSA"?

Das Abhören elektronischer Kommunikation durch die "National Security Agency" (NSA) der USA ist keine Frage gehörigen Umgangs "unter Freunden": Es geht um Geschäft und vor allem um die Verfassung der Freiheit. Ihr Kern ist mit der Menschenwürde die Privatsphäre. Die U.S. Constitution sagt in der Bill of Rights seit 1791:

"The right of the people to be secure in their persons, houses, papers, and effects, against unreasonable searches and seizures, shall not be violated" (Fourth Amendment).

Ein Vorbild rund um den Globus, das gerade mit Füßen getreten wird.

Höchste Staatsakteure sind im bösen Spiel, operativ räubert die Datenkrake NSA. Das Vehikel dunkler Mächte und blendender Politiker greift unter dem Schlagwort "Terrorismusbekämpfung" gewaltig aus. Der Geheimdienst platziert Wanzen in Gebäuden der EU und Spionagesoftware weltweit, spioniert systematisch in Telefon, Internet und über Spiele-Apps (z. B. Angry Birds). Er kapert Computer mit Vollzugriff auf Inhalte (Dateien, Adressbuch, Bildschirmfotos) und für Manipulationen (Codewort "Quantumtheory"), greift den Datenverkehr von Telefon- und Internetdiensten ab, auch an Knotenpunkten und in Rechenzentren (bei Google, Yahoo u.s.w.). Seit Jahren liefert z. B. Verizon der NSA die Verbindungsdaten der In- und Auslandsgespräche ihrer Kunden (IP-Adressen): Metadaten für Kontakt- und Benutzerprofile. Allein in Deutschland werden 500 Millionen Verbindungen gespeichert - monatlich!

Eingedenk der Dunkelfelder gehört die grassierende Krise von Staaten, Märkten und Recht (sog. Weltschuldenkrise; vgl. Luttermann, ZRP 2010, 1) mit ins Blickfeld. Einhergehende Kommunikation und Transaktionen sind elektronisch gebunden. Brüche drohen wie Bargeldverbot, Kapitalverkehrskontrollen, Zwangsabgaben. Massenüberwachung, allgegenwärtig auch per Videoaufzeichnung und kontaktlose (implantierte) Transponder (RFID-Systeme, z. B. Zutrittskontrolle, Freund-Feind-Erkennung, Warenetikette, Reisepässe), greift. Sie baut auf sog. "Vorratsdatenspeicherung".

Das BVerfG markiert Grenzen. Das Grundrecht auf Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis (Art. 10 GG) schützt den Inhalt der Kommunikation sowie deren Art und Weise: Die Datensicherheit erfordere "Regelungen, die einen besonders hohen Sicherheitsstandard normenklar und verbindlich vorgeben"; jedenfalls sei im Grunde gesetzlich zu sichern, dass sich dieser Standard an der Fachdebatte orientiere, "neue Erkenntnisse und Einsichten fortlaufend aufnimmt und nicht unter dem Vorbehalt einer freien Abwägung mit allgemeinen wirtschaftlichen Gesichtspunkten steht" (BVerfGE 125, 260). Es gilt das Recht auf informationelle Selbstbestimmung (BVerfGE 130, 151). Doch in der Praxis bleiben Grenzverläufe für Eingriff bzw. Rechtfertigung unklar, besonders transnational.

Besinnen wir uns auf grundlegende Maßgaben. Die U.S. Constitution setzt sie, wie Louis D. Brandeis 1928 in seinem wegweisenden Minderheitsvotum in Olmstead gegen damalige Telefonüberwachung ausgeführt hat, "as long as civil liberty lives in the United States" (277 U.S. 438). Die Verfassungsväter fixierten das Recht, "to be let alone"; sprichwörtlich: "My home is my castle". Das gründet im englischen Recht (Semayne's Case (1603), 5 Coke's Repts. 91a) und umfasst alle staatlichen Eingriffe in die Privatsphäre. Brandeis hebt hervor:

"As a means of espionage, writs of assistance and general warrants are but puny instruments of tyranny and oppression when compared with wire-tapping."

Das gilt zugleich bei modernen Kommunikationstechniken (vgl. Katz 389 U.S. 347 (1967)). Problematisch aber agiert der U.S. Foreign Intelligence Surveillance Court (FISC), während selbst Kontrollgremien im U.S.-Kongress bespitzelt werden. Unkontrollierte Macht: Pax Americana?

Jedenfalls schockiert die hyperstasiartige NSA Menschen in den USA wie auch uns in Europa: "Big Brother" (Orwell, 1984) zerstört Lebenswelt und Geschäft. Das Wall Street Journal titelt: "NSA Flap Puts Trade Deal at Risk" (10. 2. 2014, zur Transatlantic Trade and Investment Partnership) bzw. "NSA Tapping Poses Threat to U.S. Firms" (4. 2. 2014). Weltkonzerne fürchten Handelsschranken, strengere Datenschutzregeln, lukratives Cloud-Computing ist gefährdet. Prominente Vertreter fordern von Präsident Obama in einem offenen Brief, die Überwachungspraxis zugunsten des Datenschutzes zu reformieren. Zum Problemfeld gehören Datenräuber weltweit. Denn Datenschutz wird vielerorts ignoriert, gerade für Wirtschaftsspionage; führend dabei sind neben den USA China, Frankreich, Großbritannien, Russland. Insgesamt mit Oliver W. Holmes, kongenial neben Brandeis auf der Bank des U.S. Supreme Court, auch in Olmstead: ein "dirty business".

Die Vorgänge zeigen: Menschen haben Freunde, Staaten(lenker) strategische Interessen (U.S.-diplomatisch: "Fuck the EU!"). Sie umzusetzen, erfordert Masse und Klasse, sonst bleibt realpolitisch nur Mitleid.

Not tut aber allseits Sicherheit: Sie als Verfassung der Freiheit zu gewährleisten, ist die einzige Berechtigung einer "Staatsvereinigung" (W. von Humboldt, Wirksamkeit des Staats, 1792). Darin gründen die Gesellschaftsordnungen beidseits des Atlantiks und gemeinsame Perspektiven: Wo sind dafür Amtsträger mit Format und Bürger, die solche beauftragen? Wo individuelle Freiheit, die privatwirtschaftliche Werteordnung, stirbt, sterben auch Unternehmer und Freihandel. Fördern wir Autokrat(i)en?

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