Professor Dr. Gudula Deipenbrock: Der Stein des Sisyphus? - Die zweite Reform der europäischen Verordnung über Ratingagenturen
Am 20. 6. 2013 ist die zweite Reform des Regulierungs- und Aufsichtsregimes für Ratingagenturen in der Europäischen Union in Kraft getreten (VO [EU] Nr. 462/2013, ABlEU L 146/1 v. 31. 5. 2013, nachfolgend: 2. Reform-VO). Während die erste Reform aus dem Jahr 2011 (VO [EU] Nr. 513/2011, ABlEU L 145/30 v. 31. 5. 2011, nachfolgend: 1. Reform-VO) als ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einer schlagkräftigen europäischen Ratingaufsicht gelten durfte, fällt eine erste Einschätzung der 2. Reform-VO verhaltener aus. Zwar war kein erneuter Paradigmenwechsel von der Qualität zu erwarten, den die 1. Reform-VO vollzog (vgl. dazu Deipenbrock, RIW 2011, Heft 8, Die erste Seite). Diese übertrug die exklusive Aufsicht über Ratingagenturen in der Union auf die damals neu geschaffene Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA). Zur Steigerung des Effizienz- und Effektivitätspotenzials der europäischen Ratingaufsicht war dieses wesentlich (vgl. Deipenbrock, WM 2011, 1829, 1835). Jedoch blieben trotz dieses institutionellen Quantensprungs und der Ausstattung von ESMA mit schlagkräftigen Aufsichtsinstrumenten sowie des zuvor bereits eingeführten europäischen Registrierungsverfahrens für Ratingagenturen auch nach Inkrafttreten der 1. Reform-VO grundlegende, vornehmlich in der Struktur und Wirkungsweise des Ratingsektors begründete Probleme ungelöst. Die 2. Reform-VO sollte sich dieser Herausforderungen in einem erneuten Anlauf annehmen. In ihrem legislativen Vorschlag für die 2. Reform-VO (KOM 2011 [747] v. 15. 11. 2011, nachfolgend: Vorschlag 2. Reform-VO) benannte die Europäische Kommission zwei Problembereiche, die regelmäßig regulierungstechnisch getrennt behandelt werden: Mängel bei der Verwendung von Ratings und Mängel bei den Ratingaktivitäten.
Die Verwendung von Ratings fällt in den Bereich der rating-basierten Regulierung. Mängel bei den Ratingaktivitäten werden regelmäßig in der rating-gerichteten Regulierung adressiert. Zentrales Problem der Verwendung von Ratings ist ein mechanistischer, übermäßiger Rückgriff auf externe Ratings. Zu unterscheiden sind hier die regulatorische Indienstnahme von Ratings in einschlägigen Rechtsakten, Standards sowie Regelungen im Übrigen und der Rückgriff der Marktteilnehmer auf Ratings. Die "Ratinggläubigkeit" in beiden Ausprägungen ist ein zentraler "Webfehler" im Ratingsektor und bedeutender Risikofaktor für die Finanzmarktstabilität.
Die 2. Reform-VO - obwohl vornehmlich der rating-gerichteten Regulierung zuzuordnen - adressiert nunmehr im Bereich der rating-basierten Regulierung die regulatorische Indienstnahme von Ratings insbesondere durch die Europäischen Aufsichtsbehörden, den Europäischen Ausschuss für Systemrisiken und im Unionsrecht insgesamt ebenso wie die "Ratinggläubigkeit" der im Einzelnen bezeichneten Finanzinstitute. Flankiert wird dieses durch weitere, gemeinsam mit der 2. Reform-VO eingebrachte Regelungen (vgl. Richtlinie 2013/14/EU, ABlEU L 145/1 v. 31. 5. 2013). Übereinstimmendes Ziel dieser Regelungen ist es, einen ausschließlichen und/oder automatischen Rückgriff auf Ratings zu vermeiden. Insbesondere soll die Kommission das Unionsrecht daraufhin prüfen, ob Bezugnahmen auf Ratings diesem Ziel widersprechen. Dabei soll sie das Ziel verfolgen, bis zum 1. 1. 2020 alle regulatorischen Bezugnahmen auf Ratings im Unionsrecht zu streichen, sofern geeignete Alternativen für die Bewertung des Kreditrisikos gefunden und umgesetzt worden sind. Was jedoch unter geeigneten Alternativen der Kreditrisikobewertung zu verstehen ist, ist einer weitgehenden Auslegung zugänglich. Diese Konditionalität lässt die Erreichung des gesetzgeberischen Ziels fraglich erscheinen.
Der zweite, der rating-gerichteten Regulierung zuzuordnende Bereich der Mängel bei Ratingaktivitäten umfasst nach dem Vorschlag 2. Reform-VO insbesondere die (1) Konzentration auf dem Ratingmarkt, (2) fehlende zivilrechtliche Haftung von Ratingagenturen, (3) Interessenkonflikte im Zusammenhang mit dem Modell des zahlenden Emittenten und der Eigentümerstruktur der Ratingagenturen und (4) Mängel der Ratingqualität, insbesondere bei Länderratings. Zentrale Regelungen der 2. Reform-VO lassen sich entsprechend gruppieren, weichen aber z. T. erheblich von dem Vorschlag 2. Reform-VO ab.
Dabei zeigt die 2. Reform-VO sinnvolle Ansätze wie die Erfassung nicht nur von Ratings, sondern auch von Ratingausblicken, die Adressierung von Interessenkonflikten im Zusammenhang mit der Eigentümerstruktur der Ratingagenturen und das Erfordernis eines Prüfungsberichts bei Abgabe eines Länderrating(ausblick)s. Bei einer kritischen Gesamtschau der wesentlichen rating-gerichteten Regelungen der 2. Reform-VO erscheint jedoch das Potenzial zur Zielerreichung begrenzt. Dieses gilt nicht zuletzt für die Bewältigung der systemimmanenten Mängel, insbesondere des Oligopols und der Interessenkonflikte bei dem Modell des zahlenden Emittenten. Auch das mit der 2. Reform-VO eingeführte zivilrechtliche Haftungsregime für Ratingagenturen kann kaum als gelungen gelten. Seine Auslegung und Anwendung sind unzureichend geregelt. Dieses gilt insbesondere für die komplexen Fragen im Bereich des internationalen Privatrechts. Auch die Beweislastregelung ist problematisch.
Der Keim einer dritten Reform scheint in dieser 2. Reform-VO bereits angelegt.
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