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RIW-News
24.07.2014
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Prof. Dr. Hanno Merkt: RIW-Interview zum US-amerikanischen Gesellschaftsrecht

Hanno Merkt beschäftig sich seit Jahren mit dem US-Gesellschaftsrecht. Sein Handbuch „US-amerikanisches Gesellschaftsrecht“ ist unlängst in 3., neu bearbeiteter Auflage erschienen. Als Experte des US-Rechts und darüber hinaus als erfahrener Praktiker der Wirtschaftsrechtsvergleichung zählt Professor Merkt schon seit vielen Jahren zu den Ständigen Mitarbeitern der RIW. Für die RIW nahm Dr. Roland Abele das Erscheinen des Handbuchs zum Anlass, einige Fragen an Professor Dr. Merkt zur internationalen Relevanz des US-Gesellschaftsrechts zu stellen.

RIW: Herr Professor Merkt, wenn man die neu herausgekommene 3. Auflage des Handbuchs mit der 2. Auflage vergleicht, fällt sofort auf, dass das Buch sichtbar „dicker“ geworden ist. In welchen Bereichen musste die rechtliche Darstellung ausgeweitet werden?

Merkt: Im Mittelpunkt der Neuauflage stand die Einarbeitung der tiefgreifenden und umfassenden Änderungen des Unternehmensrechts durch den Dodd-Frank Act von 2010, mit dem der US-Bundesgesetzgeber auf die Immobilien- und Finanzkrise im Gefolge des Zusammenbruchs von Lehmann Brothers reagiert hat. Unter den Änderungen, die der Dodd-Frank Act im Bereich der corporate governance börsenotierter Gesellschaften gebracht hat, sind vor allem das Vergütungsvotum der Hauptversammlung (say on pay), die Verstärkung der Unabhängigkeit des Vergütungsausschusses (compensation committee independence), der Ausbau vielfältiger Offenlegungspflichten etwa in Bezug auf die Vergütung des Managements (executive compensation disclosure), in Bezug auf die Vornahme von Hedging-Geschäften durch das Management (disclosure regarding employee and director hedging) und in Bezug auf die Trennung der Positionen von chairman und CEO (disclosure regarding chairman and CEO structures), in Bezug auf die Rückforderung ungerechtfertigt gezahlter Managervergütung (recovery of errouneously awarded compensation) sowie die Berücksichtigung von Aktionärskandidaten im proxy-Verfahren (proxy access) zu nennen. Aber das sind nur einige der wichtigsten Änderungen. Die Liste der in der Neuauflage eingearbeiteten Reformmaßnahmen ließe sich fortsetzen. Daneben waren natürlich eine ganz Reihe einzelstaatlicher Reformen und auch über 400 neue Gerichtsentscheidungen nachzutragen.

RIW: In Deutschland herrscht oft die Meinung, dass das deutsche Recht rigide und überreguliert ist, während demgegenüber das US-Recht liberaler sei und viel mehr Freiraum bei der rechtlichen Gestaltung lasse. Das kann ich jedoch aus dem, was Sie sagen, nicht unbedingt ableiten.

Merkt: Für das US-Recht muss man differenzieren zwischen dem law of corporations, das in die Kompetenz der Einzelstaaten fällt, und der bundesrechtlichen securities regulation. Das einzelstaatliche Gesellschaftsrecht ist, nicht zuletzt als Ergebnis des viel zitierten race for laxity, unverändert recht liberal gemessen an deutschen oder europäischen Maßstäben. Im einflussreichen Delaware General Corporation Law ist sehr vieles dispositiv geregelt. Die aktienrechtliche Satzungsautonomie geht in den USA einfach deutlich weiter.  Ganz anders liegen die Dinge im Bundesfinanzmarktrecht. Hier erreicht das US-amerikanische Recht einen Regulierungsgrad, den wir in Europa - jedenfalls noch - nicht erreicht haben. Das gilt insbesondere für die strengen Offenlegungspflichten, reicht aber darüber hinaus weit in das materielle Unternehmensrecht hinein. Also Vorsicht vor Pauschalurteilen in die eine oder andere Richtung. 

RIW: Unbestritten scheint aber zu sein, dass das US-amerikanische Gesellschaftsrecht eine Art Vorbild- oder Leitfunktion auf andere Rechtsordnungen ausgeübt hat. Das gilt wohl auch für andere Bereiche des US-Wirtschaftsrechts. Warum ist das so?

Merkt: Dafür lassen sich gewiss unterschiedliche Gründe anführen. Zum einen treten überall auf der Welt und auf sämtlichen Märkten starke US-amerikanische Unternehmen auf. Diese bringen regelmäßig viel von „ihrem“ Recht mit, sei es Unternehmensrecht, sei es Finanzierungsrecht, sei es Kartell- oder Immaterialgüterrecht, auch Schiedsverfahrensrecht. Verstärkt wird dies besonders im Bereich des Unternehmenskaufs, wo US-amerikanische Unternehmens vielfach als Käufer auftreten. Der Käufer übt starken Einfluss auf die Vertragsverhandlung und -gestaltung aus. Das hat dann Vorbildfunktion auch für Verträge, an denen gar keine US-amerikanische Partei beteiligt ist. Hinzu kommt das offensive Rechtsmarketing US-amerikanischer Großkanzleien. Die spannende Frage der Zukunft lautet, ob das US-Wirtschaftsrecht seine einflussreiche Rolle behält oder ob andere Einflüsse stärker werden.

RIW: Gibt es auch rechtliche Bereiche, für welche die erwähnte Leitbildfunktion überhaupt nicht gilt, und warum?

Merkt: Hier lässt sich eine interessante Grenzziehung beobachten, und zwar zwischen dem materiellen Recht und dem Prozessrecht. Im Zivilprozessrecht bestehen nach wie vor große und fundamentale Unterschiede, nur als Beispiele genannt seien die pretrial discovery des US-amerikanischen Rechts oder das Syndikusanwaltsprivileg des deutschen Rechts (dazu Merkt, Syndikusanwalt und deutsches Anwaltsprivileg im US-Zivilprozess, 2013) oder die Verteilung der Verfahrenskosten. Anders als das materielle Unternehmensrecht ist das Prozessrecht immer noch relativ stark abgeschottet und eine Domäne der nationalen Regulierung. Und es ist ein Bereich, in dem die Grundrechte stärker einwirken. Dass wir in Deutschland keine class action haben, liegt nicht zuletzt am Justizgewährungsanspruch des Grundgesetzes. Annäherungen sind hier deutlich schwieriger als im materiellen Recht.

RIW: Sie leiten als Ordinarius das Institut für ausländisches und internationales Privatrecht in Freiburg. Welche Rolle spielt das US-Wirtschaftsrecht an Ihrem Institut als Gegenstand der juristischen Ausbildung?

Merkt: Eine ganz zentrale! Es gibt im Bereich des Unternehmensrechts und des Finanzmarktrechts keine Vorlesung und kein Seminar, in dem der Rechtsvergleich mit dem US-Recht fehlen darf. Nehmen Sie nur die Frage der Vorstandsverantwortung. Hier sind alle zentralen Diskussionen der letzten Jahre stark vom US-Recht beeinflusst. Das gilt für die Anforderungen an das risk management ebenso wie für die compliance, die Tatbestandsvoraussetzungen eines business judgement, die Sanktionierung und die Beweislastverteilung bei der Managerhaftung, die Vergütung des Managements, die Regeln zur corporate opportunity, die Unabhängigkeit der Mitglieder des Aufsichtsorgans sowie für das Thema D & O-Versicherung. Dieser Befund hat Gültigkeit natürlich auch und besonders im Bilanzrecht, das unter dem latenten Einfluss des anglo-amerikanischen true and fair view-Gebots der internationalen Rechungslegung steht. Und auch im Finanzmarktrecht ist der Einfluss des US-Rechts ganz unübersehbar. Als Stichworte genannt seien nur das Insiderhandelsverbot, das Acting in Concert und das gesamte Übernahmerecht. Nicht, dass wir in Europa alles oder auch nur das Wesentliche von den Amerikanern unbesehen übernehmen würden. Aber der Anstoß, der Impuls für die rechtspolitische Debatte kommt vielfach aus den USA. Das muss sich in der juristischen Ausbildung widerspiegeln.

RIW: Ich danke Ihnen für das Gespräch und wünsche Ihrem Buch eine positive Aufnahme.

(Professor Dr. Merkt ist Direktor des Instituts für Ausländisches und Internationales Privatrecht der Universität Freiburg i. Br. und Richter am OLG Karlsruhe)

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